"Ich bin ein Mensch zweiter Klasse!"

In das Dachgeschoss dieses Hauses soll Rolf Pöker ziehen
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Foto: Helena GARCIA@AdobeStock.com

JOBS und KARRIERE

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Ist man als Obdachloser ein Mensch zweiter Klasse? In Buchholz scheint das offensichtlich im Fall von Rolf Pöker (74) so zu sein. Hätte das WOCHENBLATT nicht über das Schicksal des Rentners in der Samstag-Ausgabe berichtet, würde er jetzt wahrscheinlich immer noch im Wald schlafen. Die Stadt Buchholz hat ihm zwar bereits am Freitag eine neue Unterkunft zur Verfügung gestellt, doch bis Montagnachmittag war diese in einem menschenunwürdigen Zustand. Absicht oder schlichtes Unvermögen der zuständigen Mitarbeiter?

mum. Buchholz. „Die Stadt hat sich bei mir gemeldet. Ich bekomme eine neue Unterkunft!“ Die Stimme von Rolf Pöker (74) überschlägt sich am Freitagmorgen vor Freude. Nachdem das WOCHENBLATT begonnen hat, für die Samstag-Ausgabe in seiner Angelegenheit zu recherchieren, stellt Stadtsprecher Heinrich Helms dem Rentner eine neue Unterkunft in Aussicht. Doch später weicht die Freunde großer Enttäuschung.
Wie berichtet, schmiss die Stadt Buchholz Pöker aus seiner Wohnung in der Obdachlosen-Unterkunft an der Bremer Straße. Dreieinhalb Jahre hatte er dort gewohnt. Schließlich kam es Mitte Juli nach häufigeren Auseinandersetzungen zum großen Streit. Der 74-Jährige, der einst in der Geflügelzucht und unter Tage im Bergbau gearbeitet hat, wurde vor die Tür gesetzt, seine Tiere (Kanarienvögel und Zwerghühner) wurden ihm genommen. Pöker wusste sich nicht anders zu helfen, als für einige Nächte im Wald zu schlafen.
Als dann Rolf Pöker am Freitag gegen 10 Uhr den Schlüssel für seine neue Bleibe bekommt, nimmt er WOCHENBLATT-Redakteur Sascha Mummenhoff zur Besichtigung mit. Das Haus an der Rütgersstraße macht auf den ersten Blick einen guten Eindruck. Doch das Bild ändert sich im obersten Stockwerk. Unter dem Dach soll der 74-Jährige künftig wohnen. Ein Elektriker baut gerade einen neuen Ofen ein. Wird jetzt alles gut? Leider nicht.
Der Rest der 50-Quadratmeter-Wohnung ist in einem erbärmlichen Zustand. In der Küche spritzt das Wasser aus dem Hahn in alle Richtungen. Die Toilette wurde wahrscheinlich vor Jahren das letzte Mal gereinigt und in einer Abseite türmen sich Kartons und Abfall.
„Wir werden am Samstag jemanden um 9 Uhr schicken, der die Wohnung reinigt“, sagt Stadtsprecher Helms. Rolf Pöker wartet am Samstag bis 12 Uhr vergeblich auf die Putzkraft. „Ein Missverständnis“, so Helms. Die Wohnung werde am Montag gereinigt.“ Pöker darf nur einen Raum nutzen; Küche und Badezimmer müssen geteilt werden, wenn die Stadt jemanden anderes unterbringen muss. Und - die Abseite werde nicht entrümpelt. Übrigens: Rolf Pöker zahlt 307 Euro für die Not-Unterkunft.
Zwei Stunden später trifft sich Rolf Pöker mit einem Freund an der Bremer Straße, um seine kleine Bleibe zu räumen. Wer jemals selbst in einer Einzimmer-Wohnung gelebt hat, weiß, wie schwer es ist, dort Ordnung zu halten. Dem 74-Jährigen ist dieses Kunststück gelungen. Das Tierfutter für seine Lieblinge ist perfekt sortiert. In einer Vitrine bewahrt Pöker wunderschöne Glasfiguren auf. Hektisch beginnt er, sein Eigentum zu verpacken. In eineinhalb Stunden muss er fertig sein. Mehr Zeit räumt ihm der Mitarbeiter der Stadt an einem Freitagmittag nicht ein.
Am Freitag meldet sich sogar Bürgermeister Wilfried Geiger in der WOCHENBLATT-Redaktion. Unter anderem stellt er klar, dass sich Nachbarn über Pöker beschwert hätten. Seine Tiere hätten zu viel Lärm gemacht. Eine seltsame Erklärung, denn die Wohnung rechts neben der des Rentners steht leer. Die linke Unterkunft ist ebenfalls verlassen. Sie wird gelegentlich von der Polizei genutzt, um Obdachlose für eine Nacht unterzubringen. Mit dieser Information konfrontiert, bessert Stadtsprecher Helms nach. „Der Bürgermeister meint die Wohnung, die an die Rückseite von Rolf Pökers Wohnung grenzt.“ Aha.

Kommentar:

Das macht mich fassungslos!
Vor einer Woche lernte ich Rolf Pöker kennen. Mein erster Gedanke: Was will der denn hier? Ich hatte keine Lust, mich mit dem Thema Obdachlosigkeit zu beschäftigen. Eine Woche später schäme ich mich für diesen Gedanken.
Wie die Stadt Buchholz mit Rolf Pöker umgeht, einem 74-jährigen Rentner, macht mich fassungslos. Sicherlich: Pöker ist kein einfacher Zeitgenosse. Aber hätte es wirklich so weit kommen müssen?
Seit Donnerstag wird mir gesagt, die Stadt würde Pöker eine neue Bleibe zur Verfügung stellen. Das ist auch geschehen. Allerdings handelt es sich um eine Wohnung, in der es niemand länger als fünf Minuten aushalten würde, ohne danach duschen zu wollen. Seitdem wird vertröstet, nachgebessert und von „Kommunikations-Problemen“ gesprochen.
Ich frage mich, was gewesen wäre, wenn das WOCHENBLATT nicht über Rolf Pöker berichten würde?
Sascha Mummenhoff

Ein Lese-Tipp:
Stadt Buchholz treibt Rentner in den Wald

Redakteur:

Sascha Mummenhoff aus Jesteburg

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