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Osterfeuer 2024 im Landkreis Harburg

43 Männer, neun Nationen - eine Hoffnung

Heimleiter Rüdiger Thiemann zeigt auf seine Tafel: Alle Zimmer sind belegt
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  • Heimleiter Rüdiger Thiemann zeigt auf seine Tafel: Alle Zimmer sind belegt
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Der Bericht von WOCHENBLATT-Redakteur Sascha Mummenhoff über die Asylbewerber ablehnende Stimmung in Undeloh in der Mittwochs-Ausgabe hat nicht nur Zustimmung gefunden. Wie berichtet, plant der Landkreis in dem Tourismus-Dorf eine Unterkunft für 29 Asylbewerber. Das wollen die Undeloher mit aller Macht verhindern. Die Kritik, der Redakteur solle sich eine solche Unterkunft mal selbst ansehen, hat Mummenhoff sich zu Herzen genommen und die „Human Care“-Einrichtung in Neu Wulmstorf besucht.
Er sprach mit der Heimleitung und ließ sich von den Flüchtlingen - 43 Männer aus neun Nationen - ihr Leben schildern.

(mum). Sammy M. lächelt verschmitzt. Der 22-Jährige ist bis über beide Ohren verliebt. „Wir sind seit sechs Monaten zusammen“, sagt er mit leuchtenden Augen. Als er dann aber gesteht, er wisse nicht, ob seine Beziehung eine Zukunft hat, werden Sammys Augen feucht. „Ich weiß nicht, wie lange ich noch in Deutschland leben darf“, sagt er. Sammy wohnt in der Asylbewerber-Unterkunft in Neu Wulmstorf. Gemeinsam mit 42 anderen Asylanten im Alter von 18 bis 62 Jahren hofft er auf ein Leben in Frieden.
„Sammy ist schwer in Ordnung“, sagt Rüdiger Thiemann (57), der von Montag bis Freitag rund um die Uhr vor Ort ist (am Wochenende telefonisch). Seit einem Jahr ist er Heimleiter in Neu Wulmstorf. Doch vor allem für die jüngeren Asylbewerber ist Thiemann viel mehr. Er ist ihr „Ersatzvater“.
„Die Jungs sind hier allein, von ihren Familien getrennt und haben Angst vor der Zukunft“, so der 57-Jährige, der seit 22 Jahren überall in Deutschland in vergleichbaren Einrichtungen gearbeitet hat. Gibt es keine Probleme mit der Verständigung? „Ganz selten“, sagt Thiemann. „Bevor die Bewerber zu uns kommen, sind sie in der Regel mindestens sechs Monate in Deutschland.“ Wer aus politischen Gründen hier um Asyl bittet, wird erst in einer zentralen Einrichtung des Bundes untergebracht. Dort wird er angehört, sein Werdegang so weit wie möglich geprüft. Von dort geht es weiter in eine Einrichtung des Landes. Schließlich erfolgt die Zuteilung auf eine Gemeinde. „Wenn sie dann hier bei uns ankommen, sprechen die meisten meist recht gut Deutsch, da sie bereits an Sprachkursen teilgenommen haben. Außerdem lernen sie sehr schnell.“
In der Unterkunft in Neu Wulmstorf leben Menschen aus neun Ländern. Sie stammen unter anderem aus dem Iran, dem Irak, Pakistan, Vietnam, Syrien, Georgien und von der Elfenbeinküste. „Trotz dieser Mischung kommt es nicht zu gravierenden Auseinandersetzungen“, berichtet Thiemann. Zumindest gehe es nicht um Glauben oder Politik, sondern eher darum, wer als nächstes die Küche benutzen darf.
Die Neu Wulmstorfer Asylbewerber-Unterkunft liegt direkt an der Hauptstraße. Auf dem ersten Blick ein Wohn-und Geschäftshaus wie jedes andere. Im vorderen Teil befindet sich ein Restaurant. Durch ein Tor an der Seite gelangt man in einen Hof. Von dort führt ein Treppenhaus in das Gebäude. Zwei Stockwerte sind für die Asylbewerber reserviert. Es gibt 19 Zimmer - davon jeweils sechs Einzel- und sechs Doppelzimmer. Außerdem Drei-Bett- und Vier-Bett-Apartments.
Ursprünglich wurde das Haus als Pension genutzt, dann in den 90ern erstmals als Asylunterkunft. Als die Nachfrage sank, brachte die Gemeinde Neu Wulmstorf dort ihre Obdachlosen unter. Seit einem Jahr wird das Haus im Auftrag des Landkreises von „Human Care“ als Asylbewerber-Unterkunft betrieben. „Human-Care“ betreibt deutschlandweit 39 Unterkünfte; davon zehn in Niedersachsen und drei im Landkreis Harburg. Die meisten Räume sind mit einem kleinen Bad ausgestattet. Jedes Stockwerk verfügt über zwei Küchen.
In einer Küche bereitet Leon Z. gerade sein Mittagessen zu. Es gibt Hähnchen mit Reis. Der 24-Jährige ist im September nach Neu Wulmstorf gekommen. Er möchte weder seinen richtigen Namen verraten noch sich fotografieren lassen. „Ich bin aus dem Iran geflohen, weil dort meine politische Meinung nicht toleriert wurde. Ich habe Angst, dass man mich auch hier findet“, sagt er in tadellosem Deutsch.
Sein Zimmer zeigt er dennoch. Es könnte auch das Zimmer eines deutschen Teenagers sein: Der Laptop steht auf einem Stuhl, der auch als Nachtisch dient, ein Bett und ein kleiner Schrank. Das wars. Auffällig ist nur der große Fernseher. „Der gehört meinem Zimmerpartner“, erklärt Leon.
Seit „Human Care“ die Einrichtung übernommen hat, sind 40 Asylbewerber dazu gekommen, etwa 20 haben die Einrichtung wieder verlassen. „Es ist schwer zu sagen, wie lange jemand in der Unterkunft bleibt“, sagt Monika von der Heide, Leiterin der Abteilung Soziale Leistungen beim Landkreis Harburg. Mal seien es nur ein paar Monate. Aber wenn ein Bewerber gegen seine Abschiebung klage oder seine Identität nicht nachgewiesen werden könne, würden es auch Jahre werden.
Die Tage in der Unterkunft verlaufen stets gleich. Einige Bewohner stehen früh auf, um ihre Angelegenheiten zu regeln. Gewöhnlich müssen sie dazu zum zuständigen Amt nach Winsen fahren. „Viele haben bereits Freunde gefunden, mit denen sie sich treffen“, berichtet Thiemann. „Andere gehen zum Sport.“
Erst am Vortag ist ein junger Vietnamese angekommen. Als Thiemann vorsichtig an seiner Tür anklopft, springt er verängstigt auf. Niemand weiß, was er erlebt hat. Die Verständigung ist schwierig, da er offensichtlich noch kein Deutsch spricht. Thiemann ist froh, dass Sammy ihm von Zeit zu Zeit als Dolmetscher unterstützt.
Vor dreieinhalb Jahren kam dieser nach Deutschland. Seit 2010 wohnt er in der Neu Wulmstorfer Einrichtung. „Mein Antrag wurde abgelehnt“, sagt er traurig. Da Sammys Heimat, der Irak, als nicht sicher gilt, wird er nicht abgeschoben. „Ich bin geduldet“, sagt er. Wie lange wisse er nicht. Halt gibt ihm seine Freundin, die er später noch besuchen wird.
Einige der anderen Männer werden sich am Abend mit Rüdiger Thiemann treffen. Er hat den Jungs Skat beigebracht. Und ab und an findet nun in Neu Wulmstorf die wohl internationalste Skatrunde der Welt statt.

Zahlen und Fakten:
Im Landkreis Harburg mit seinen rund 249.000 Einwohnern leben derzeit 410 Asylbewerber. 150 Personen sind in den drei großen Unterkünften in Neu Wulmstorf, Meckelfeld und Hittfeld untergebracht. Zusätzlich gibt es Quartiere in Buchholz, Winsen und in der Gemeinde Rosengarten. In der Regel handelt es sich um Häuser oder Wohnungen, in denen bis zu 16 Asylbewerber wohnen. Viele Asylanten, die bereits seit Jahren in Deutschland leben, haben sich selbst schlichte Wohnungen gesucht.
2012 lebten im Landkreis Harburg 380 Asylbewerber. Seit 2011 steigen die Zahlen kontinuierlich. 2013 sollen dem Landkreis zusätzlich bis zu 400 weitere Personen zugewiesen werden. Ein Asylbewerber erhält vom Landkreis ein monatliches „Taschengeld“ in Höhe von 137 Euro. Zusätzlich gibt es Gutscheine im Wert von 217 Euro für Essen, Trinken und Kleidung. 2012 hat der Landkreis Harburg 3,2 Millionen Euro für Asylbewerber ausgegeben. Vom Land gab es dazu einen Zuschuss in Höhe 1,6 Millionen Euro. Für 2013 rechnet der Landkreis mit Ausgaben in Höhe von 5,5 Millionen Euro. Der Zuschuss vom Land liegt diesmal bei 2,06 Millionen Euro. Der Betrag ist nicht nur aufgrund der höheren Zahl von Asylbewerber deutlich höher. „Auch die Bereitstellung der neuen Unterkünfte ist hier berücksichtigt“, sagt Monika von der Heide.
Das große Problem: Die Kreisverwaltung weiß noch nicht, wo sie die Flüchtlinge unterbringen soll. Es hat nach einem Aufruf zwar zahlreiche Angebote gegeben, aber nicht alle waren umsetzbar.

Redakteur:

Sascha Mummenhoff aus Jesteburg

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