Der pensionierte Pastor Martin Engelhardt arbeitet gegen das Vergessen
"Jüdischer Friedhof ist ein Stück deutscher Kultur"

So sieht die fotografische Dokumentation aus: Jedes Grab wird nach Reihe und mit einer Nummer aufgenommen | Foto: Engelhardt
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  • So sieht die fotografische Dokumentation aus: Jedes Grab wird nach Reihe und mit einer Nummer aufgenommen
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Pastor Martin Engelhardt übersetzt hebräische Inschriften auf dem Friedhof in Neukloster tk. Buxtehude. "Ich habe Hebräisch gelernt, also kann ich lesen, was auf den Grabsteinen steht", sagt Martin Engelhardt. Der pensionierte Pastor aus Jesteburg (66) nutzt dieses Wissen, um einen Teil der jüdischen Kultur in Deutschland vor dem Vergessen zu bewahren: Er dokumentiert Gräber auf jüdischen Friedhöfen und übersetzt dabei auch die hebräischen Inschriften. In den vergangenen Monaten hat sich Engelhardt intensiv mit dem kleinen jüdischen Friedhof im Neukloster Forst beschäftigt. "Dieser Friedhof ist das sichtbare Erbe der einstigen jüdischen Kultus-Gemeinde Horneburg", schreibt der Pastor im Ruhestand im Vorwort seiner ausführlichen Dokumentation.

Im Frühjahr 2019 hat sich der Jesteburger an die Arbeit gemacht. Er fand nur noch 42 Grabsteine. Auf einigen waren die Inschriften nicht mehr zu entziffern. "Ich mache meine Arbeit mit großem Respekt vor dem Ort", sagt Martin Engelhardt. So verwendet er Tafelkreide, um kaum noch lesbare Inschriften wieder sichtbar zu machen. "Beim nächsten Regen wird die weggewaschen." 

Ein jüdischer Friedhof sei anders als ein christlicher für die Ewigkeit angelegt. Die auf kommunalen oder kirchlichen Friedhöfen übliche Praxis, dass eine Grabstelle in der Regel nur für einige Jahrzehnte gepachtet wird, ist in der jüdischen Religion unbekannt. "Am jüngsten Tag kommt der Engel und ruft die Toten aus den Gräbern", erklärt Martin Engelhardt den theologischen Hintergrund.

Auf dem kleinen Friedhof in Neukloster hat seit den 1930er Jahren keine Beerdigung mehr stattgefunden. Viele der noch vorhandenen Steine seien zudem stark beschädigt, so Engelhardt. Vermutlich sind Witterungseinflüsse dafür verantwortlich, denn der Friedhof ist seit 1830 eine Begräbnisstätte. 1994 seien die Steine noch einmal restauriert worden. Einige Steine würden aber auch Spuren mutwilliger Zerstörung aufweisen, so der pensionierte Pastor.

Martin Engelhardt hat alle noch vorhandenen Gräber fotografiert, die deutschen Inschriften festgehalten und die Übersetzung aus dem Hebräischen hinzugefügt. Bei den meisten Grabsteinen auf jüdischen Friedhöfen ist es so, dass auf einer Seite eine deutsche und auf der anderen eine hebräische Inschrift eingemeißelt wurde. Die hebräische Seite beinhaltet häufig bestimmte Abkürzungen, etwa der Segenswunsch, dass der Verstorbene in die Hände des lebensspendenden Gottes fallen möge. Wobei ein gläubiger Jude den Namen des Allmächtigen nicht aussprechen dürfe, so der Theologe. Eine weitere Besonderheit auf den Grabsteinen: Die jüdische Zeitrechnung beginnt mit der Erschaffung der Erde. Das Jahr 2019 liegt daher nach jüdischer Zeitrechnung in den Jahren 5.778 bis 5.779.  "Manchmal stimmen die Daten im hebräischen und deutschen Text nicht überein", sagt Engelhardt. Was an Unstimmigkeiten bei der Weitergabe der Daten oder auch an der Unkenntnis eines Steinmetzes liegen könne. Ebenfalls eine Besonderheit: Auf den Grabsteinen wird der Namen des Verstorbenen und des Vaters genannt. Beispiel: Edel bat Mise (Edel, Tochter von Mose) oder Levi ben Noah (Levi, Sohn von Noah).

Bei seiner Dokumentation ist Martin Engelhardt auch auf eine historische Überraschung gestoßen: den Grabstein eines unbekannten russischen Soldaten. Ein Steinmetz habe ihm erklärt, dass die Form des Grabsteins darauf hindeute, dass er aus der Zeit des Ersten Weltkriegs stamme. Über den Toten und denjenigen, der den Grabstein bezahlt hat, ist nichts bekannt und findet sich auch nichts in einem Archiv, so Engelhardt.

Das Dokumentieren jüdischer Friedhöfe findet der pensionierte Pastor wichtig. "Es geht um ein Stück deutscher Kultur, das nicht in Vergessenheit geraten darf." Der kleine Friedhof in Neukloster ist dabei nur eines von vielen Projekten, die er bereits erfolgreich bewerkstelligt hat. "Angefangen hat das während meiner Zeit als Vikar in Moringen", erzählt Martin Engelhardt. Dort gebe es einen der größten jüdischen Friedhöfe Deutschlands. In der Region war er auch in Zeven und Cadenberge aktiv. Ganz andere Dimensionen hat die Dokumentationsarbeit in Lettland angenommen. Dorthin gab es eine Partnerschaft einer Kirchengemeinde in Uelzen, wo Engelhardt als Pastor wirkte. "In fast jedem Ort gibt es dort einen jüdischen Friedhof." Im Frühling 2019 war er erneut dort und hat in der Nähe der weißrussischen Grenze dabei geholfen, die Gräber zu dokumentieren. Weil es sich um einen Friedhof mit mehr als 1.000 Grabstellen handelt, stand das Vermitteln der richtigen Dokumentationstechnik im Mittelpunkt.

Die Arbeit über den jüdischen Friedhof in Neukloster kann im Buxtehuder Stadtarchiv eingesehen werden. Wer ein Exemplar haben möchte, kann sich mit Martin Engelhardt unter ( 0174 - 3156697 in Verbindung setzen. Die erste Beisetzung war 1839 (tk). Die erste Beisetzung auf dem jüdischen Friedhof in Neukloster hat vermutlich 1839 stattgefunden. Bis 1929 wurden dort mindestens 53 Menschen beigesetzt. Der Friedhof gehörte zu sehr kleinen Horneburger Gemeinde, die Mitte des 19. Jahrhunderts ungefähr 53 Mitglieder hatte und sich auf Horneburg, Harsefeld, Buxtehude und das Alte Land erstreckte. 1931 hatte die Gemeinde nur noch zwei Mitglieder und der Friedhof geriet in Vergessenheit. Im Dritten Reich wurden viele jüdische Friedhöfe eingeebnet, unter anderem der in Stade. Neukloster überstand die Nazizeit.

Redakteur:

Tom Kreib aus Buxtehude

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