Elbwasser als Lebenselixier
(jd). Früher bugsierte er Ozeanriesen ins Hafenbecken, jetzt schippert Walter Mottlau mit einer Barkasse. Er ist auf dem Hamburger Kiez geboren, also waschechter St. Paulianer, und wurde wahrscheinlich mit Elbwasser getauft: Walter Mottlau (63) ist dem großen Strom Zeit seines Lebens verbunden gewesen. Ungezählt sind die Stunden, Tage, Monate, Jahre, die der Kapitän - er selbst bezeichnet sich bescheiden als Schiffsführer - auf der Elbe herumschipperte. Die meiste Zeit war Mottlau im Hamburger Hafen unterwegs: Er setzte die Hafenarbeiter zu den Piers über, bugsierte mit seinem Schlepper die ganz dicken Pötte und ließ Abertausende Touristen den Fahrtwind um die Nase wehen.
Selbst im Vorruhestand kann Mottlau nicht von der Elbe lassen: Regelmäßig fährt er von seinem Wohnort Drochtersen in den Hamburger Binnenhafen. Dort, direkt an der Speicherstadt, liegen die Boote für die Hafenrundfahrten. Damit ihm zu Hause nicht die Decke auf den Kopf fällt, hat Mottlau vor zwei Jahren beim Barkassen-Betrieb Bülow angeheuert. Nun tuckert er mit Ladungen voller "Sehleute" durch den Hafen - als "He Lücht". So werden auf Platt die Hamburger Barkassenführer bezeichnet. Hochdeutsch heißt das "er lügt", ist aber harmloser gemeint und eher mit "er flunkert" zu übersetzen. Der Grund für diesen "Ehrentitel": Der Mann am Steuerrad spinnt auf seinen Touren allerlei Seemansgarn. So manche gutgläubige Landratte geht ihm dabei auf den Leim.
Mottlau bietet allerdings eine andere Übersetzung an: "'He Lücht' bedeutet nichts anderes als 'er leuchtet'". Wie ist das zu verstehen? "Ist doch klar", schmunzelt er: "Wir Barkassenführer leuchten mit unserem Wissen." Tatsächlich ist der Schipper ein wahrer Experte, was den Hamburger Hafen betrifft. Auf seinem Törn liefert Mottlau den Urlaubern haufenweise Fakten über Schiffstypen, Umschlagzahlen und Tonnagen.
Mit der Barkasse "Hansa III", deren Diesel Mottlau gerade anwirft, um die nächste Fuhre Touristen durch Fleete und Hafenbecken und vorbei an Speichern und Kränen zu schaukeln, ist der Schiffsführer 1968 als Hafenschiffer-Lehrling ins Berufsleben gestartet: Damals hießt das Boot noch "Carola" - benannt nach der Tochter des Chefs der Stauerei- und Hafenumschlagsfirma "Carl Tiedemann". Mit der 1942 gebauten Barkasse wurden die Schauerleute, die die Stückgutfrachter entluden, zu ihren Arbeitplätzen gebracht.
Doch Anfang der 1970er Jahre läutete der zunehmende Container-Verkehr das Ende der Frachtschiff-Ära ein. Schauerleute wurden überflüssig und Mottlau schaute sich nach einem anderen Job um. Er ging zur Hadag-Seetouristik und machte seine Schiffsführer-Patente. Die gelten allerdings nur für die Elbe: "Auf große Fahrt darf ich nicht gehen. Ich muss in Höhe von Cuxhaven mit dem Schiff kehrtmachen", sagt Mottlau.
Vom Tourismus wechselte er zurück zum Hafenumschlag: Mehr als zehn Jahre lang steuerte einen Hafenschlepper. Die wendigen Kraftpakete werden eingesetzt, um die Ozeanriesen an ihre Liegeplätze zu verfrachten. Ab 1990 kriselte es im Hamburger Hafen, die Umsätze brachen ein. Mottlaus neuer Job war alles andere als maritim: Er schulte um und arbeitete zwei Jahre bei Dow Chemical. Wenig später zog es ihn doch wieder zum Hamburger Hafen: Er übernahm das seinerzeit größte Rundfahrtschiff. Schließlich suchte er sich einen Posten mit angenehmeren Arbeitszeiten - aber natürlich mit Bezug zur Elbe: Seine letzte Vollzeit-Arbeitsstelle wurde das Amt für Strom- und Hafenbau, die heutige "Hamburg Port Authority" (HPA).
Man könnte es so sagen: Das Leben war für Mottlau nur selten ein langer, ruhiger Fluss, doch die Elbe schlängelte sich wie ein roter Faden immer hindurch.
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