Von der Kasse im Stich gelassen, oder was unterscheidet das rechte Knie vom linken?

Sitzend Stufe für Stufe: Nur so kommt Masuda Soumma die Treppe vor ihrer Wohnung herunter
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(mi). „Nur so komme ich die Treppe herunter.“ Masuda Soumma (69) sitzt auf den Stufen. Dann beginnt sie langsam die 17-stufige Stiege vor ihrer Wohnungstür herunter zu rutschen. Mit einer Hand umklammert sie das Geländer, mit der anderen hält sie die zwei Krücken fest, auf die sie nach einer Operation am rechten Knie angewiesen ist. Zu verdanken hat sie diese erbärmliche Situation ihrer Krankenkasse, der Barmer GEK. Die Kasse schickte sie sechs Tage nach der Implantation einer Knieprothese ohne Reha einfach nach Hause.

Masuda Soumma ist alleinstehend. Als ihr Anfang März in Hamburg am rechten Knie eine Prothese implantiert wird, beantragt die Klinik wegen der offensichtlichen Hilfebedürftigkeit ihrer Patientin eine stationäre Rehamaßnahme für Masuda Soumma. Die Barmer GEK lehnte das unter Berufung auf ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) ab. Ganz anders 2013: Da musste sich die Rentnerin der gleichen OP schon einmal am linken Knie unterziehen, damals bewilligte die Kasse den stationären Aufenthalt.
Unverständlich: Ins aktuelle Gutachten fließt die Entscheidung aus 2013 nicht ein. Begründung: Es fehlten belegende Unterlagen. Der Gutachter schreibt: „Im Jahr 2013 sei eine stationäre Rehabilitation erfolgt. Belegende Unterlagen (dafür) liegen hier (beim MDK) nicht vor.“ Nicht nachzuvollziehen, denn schließlich hat die Kasse den stationären Aufenthalt ja in 2013 selbst bezahlt und die Belege... verloren? Das Gutachten kommt jedenfalls zu dem Schluss, dass eine ambulante Rehabilitation ausreichend sei, weil „Wundheilung“ und ausreichende „Selbstmobilisation“ bereits durch den Krankenhausaufenthalt nach der Operation erfolgt wären.
Genau das scheint nicht der Fall. Als das WOCHENBLATT die Frau in ihrer Wohnung besucht, ist ihr Knie immer noch stark geschwollen, die Operation liegt elf Tage zurück, ihre ambulante Reha soll erst später beginnen. Seit fünf Tagen sitzt Masuda Soumma in ihrer Wohnung fest. Sie ist auf Hilfe angewiesen. Einkaufen, selbst der Gang auf die Toilette sind für sie nach ihren Angaben nur unter großen Anstrengungen möglich. „Braucht man zwei Krücken zum Stehen, kann man sich nicht mal ein Glas Wasser holen“, sagt die Seniorin. Sie habe mehrmals einer Sachbearbeiterin bei der Barmer GEK ihre Lage erklärt. Bei der Kasse sah man ihre Probleme dabei erfrischend pragmatisch. „Da müssen Sie eben Nachbarn um Hilfe bitten“, habe man ihr am Telefon geraten. „Als ob das heute immer noch selbst verständlich ist“, so die Rentnerin. Immerhin, den leeren Kühlschrank hat mittlerweile ein Enkel, der aus Hamburg anreiste, gefüllt.
Die Entscheidung der Kasse ist für Massuda Soumma nicht nachzuvollziehen. „Ich bin keine vierzig mehr. So kann man doch nicht mit alten Menschen umgehen“, sagt die Rentnerin. Als ehemalige Leiterin einer Seniorenpension weiß sie, wovon sie spricht.
Besonders ärgere sie sich über die Willkür, die gleiche Leistung 2013 zu bewilligen und 2015 dann abzulehnen. „An meiner Situation hat sich seit 2013 nichts geändert“ sagt sie und fügt dann sarkastisch hinzu: „Außer, dass ich älter geworden bin - vielleicht lohnt es sich bei mir einfach nicht mehr.“
Landespressesprecher Michael Erdmann von der Barmer GEK bleibt auch nachdem ihn das
WOCHENBLATT mit der Situation von Masuda Soumma konfrontiert hat bei der ursprünglichen Aussage der Krankenkasse. Demnach sei bei dieser Art von Operation eine ambulante Reha ausreichend, da die Patienten bereits wenige Tage nach der OP wieder gehen und auch Treppen steigen könnten. Vorher werde auch nicht aus dem Krankenhaus entlassen. Die Entscheidung sei außerdem gestützt auf eine Aussage der Klinik, nach der Matsuma Soumma bei ihrer Entlastung voll belastbar gewesen sei. Deswegen sei ihr dann in Platz in einer Reha-Einrichtung mit Fahrdienst bewilligt worden. Die Frage, warum die Entscheidung 2013 anders ausfiel, beantwortete der Pressesprecher nicht.

Kommentar

Willkür siegt über Verantwortung
Hier stimmt doch was nicht: Im Gutachten des MDK ist zu lesen, das Krankenhaus habe mitgeteilt, dass Masuda Soumma „alleinstehend ist, sodass eine Selbstversorgung nicht gegeben wäre“. In der Stellungnahme der Barmer dagegen heißt es, dasselbe Krankenhaus habe erklärt, dass „Frau Soumma voll belastbar“ sei. Genauso widersprüchlich: Beim linken Knie wird eine stationäre Reha bewilligt, beim rechten abgelehnt. Der Gipfel ist der zynische Hinweis auf Nachbarschaftshilfe. Eigentlich löblich, schließlich soll die Kasse schonend mit den Beitragsgeldern umgehen, aber in unserer Zeit leider oft genauso wahrscheinlich, wie dass der MDK nicht nach Aktenlage entscheidet, sondern Frau Soumma zu Hause besucht, um sich ein Bild zu machen. Traurig: In beiden (unrealistischen) Szenarien wäre ihr wohl geholfen. In der Realität siegen dagegen unsinniger Sparzwang, oder ganz einfach Willkür über soziale Verantwortung.
Mitja Schrader

Sitzend Stufe für Stufe: Nur so kommt Masuda Soumma die Treppe vor ihrer Wohnung herunter
Nur über diese steile Treppe kann Masuda Soumma ihre Wohnung erreichen laut Barmer GEK ist Treppensteigen nach einer Knie-OP aber möglich
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Mitja Schrader

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