Heinz Strubenhoff informiert in Heidenau
"Trotz Kriegs in der Ukraine ist Verfügbarkeit der Nahrungsmittel gesichert"

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Ein spannender Vortrag über die Ukraine ist am Donnerstag, 23. Juni,  um 19.30 Uhr im Heidenauer Hof zu hören. Auf Einladung der Heidenauer Landfrauen ist der Agrarökonom Dr. Heinz Strubenhoff zu Gast. Der gebürtige Holveder hat mehr als zehn Jahre in der Ukraine gelebt und war dort als agrarpolitischer Berater tätig. Im WOCHENBLATT-Interview berichtet er, wie sich der russische Angriffskrieg auf die Menschen dort und die weltweite Lebensmittelversorgung auswirkt.  

WOCHENBLATT: 
Nachdem Sie zehn Jahre in der Ukraine gelebt haben: Wie empfinden Sie den Angriffskrieg Putins auf die Ukraine? Was berichten die Menschen, die Sie kennen?
Heinz Strubenhoff: Mit jedem Tag fließt das Blut von Zivilisten und jungen Soldaten. Auch wir haben inzwischen im unmittelbaren Bekanntenkreis einen Toten zu beklagen. Der Mann unserer Nanny ist am zweiten Tag seines Fronteinsatzes gefallen. Die Ukrainer wehren sich gegen diesen Angriffskrieg, weil ihnen von der russischen Seite die Staatlichkeit und die nationale Identität abgesprochen wird. Sie wollen nicht als Kleinrussen im russischen Imperium leben. Sie wollen ihre Unabhängigkeit und territoriale Integrität bewahren und in Frieden und Freiheit leben. In Frieden leben können sie zurzeit nicht, deshalb engagieren sich die meisten unserer Freunde und Verwandten, wo sie können. Der Bruder meiner Frau ist bei der Territorialverteidigung. Meine Schwiegereltern, die zu alt zum kämpfen sind, arbeiten in ihrem Gemüse- und Obstgarten und sind stolz, dass die Schwarzerde so gute Erträge hervorbringt. Meine Frau malt ihre Kriegserlebnisse. Es gibt niemanden, der vor den Russen kapitulieren möchte. Die Ukrainer erhoffen sich von Deutschland die zugesagten Lieferungen schwerer Waffen, um sich effektiv verteidigen zu können.

WOCHENBLATT:
Welche Getreidemengen werden in der Ukraine produziert?
Strubenhoff: Wenn man alle Getreidearten und Ölsaaten zusammennimmt, dann hat die Ukraine in der Saison 2020/21 eine Rekordernte von 100 Millionen Tonnen eingefahren. Der Eigenverbrauch beträgt etwa 30 Millionen Tonnen, das heißt: Etwa zwei Drittel der Produktion werden exportiert. Der Anteil der Ukraine am globalen Getreidehandel betragt etwa zehn Prozent, beim Sonnenblumenöl sind es sogar etwa 50 Prozent. Der größte Teil der Produktion wird über die Schwarzmeerhäfen in den Nahen Osten, Asien und Afrika exportiert. Marktbeobachter schätzen, dass noch etwa 20 bis 25 Millionen Getreide in der Ukraine auf Lager liegen. In diesem Jahr wird die Ernte wesentlich geringer ausfallen, weil Betriebsmittel und Flächen fehlen. Die ukrainische Regierung geht von einer Exportmenge von etwa 30 Millionen Tonnen Getreide aus. Das bedeutet, dass etwa 50 bis 55 Millionen Tonnen Getreide für den Weltmarkt fehlen, falls es bei der Blockade bleibt.

WOCHENBLATT:
In welche Länder wird das Getreide von dort exportiert bzw. welche Länder sind abhängig von Getreide aus der Ukraine?
Strubenhoff: Die größten Importländer sind u.a. Ägypten, Pakistan und Äthiopien. Von den Schwarzmeerhäfen wird das Getreide über das Mittelmeer und den Suezkanal in diese Länder verschifft. Die Transportwege sind wesentlich kürzer und kostengünstiger als die der europäischen und amerikanischen Wettbewerber. Das Problem ist nicht nur die Verfügbarkeit, sondern auch der Getreidepreis, der sich in den letzten zwei Jahren etwa verdoppelt hat. Ägypten importiert pro Jahr bis zu 15 Millionen Tonnen Getreide. Wenn sich der Preis von 200 auf 400 Euro verdoppelt, sprechen wir von erheblichen Mehrkosten. Falls die Regierung versuchen sollte, diese Mehrkosten auf die Konsumenten abzuwälzen, indem die Brotsubventionen gekürzt würden, hätten wir mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Unruhen in Kairo mit unvorhersehbaren Folgen für die Stabilität des arabischen Raums, aber auch für Europa, falls es zu Migrationen kommen sollte. Deshalb sprechen manche Beobachter in diesem Zusammenhang von “Hunger als Waffe”.

WOCHENBLATT: In welchen Ländern droht wegen der russischen Blockade bzw. wegen der Granatenwürfe auf ukrainische Felder eine Hungerkriese?
Strubenhoff: Zurzeit sind weltweit etwa 800 Millionen Menschen in ihrer Ernährung gefährdet und etwa 44 Millionen Menschen hungern akut. Wenn man davon ausgeht, dass eine Tonne Getreide eine Familie von sechs Personen etwa ein Jahr ernährt, dann ist der fehlende ukrainische Export von etwa 50 Millionen Tonnen etwa gleichzusetzen mit 300 Millionen Menschen. Das ist eine beängstigend große Zahl. Sollten neben der Blockade in der Ukraine noch Missernten irgendwo auf der Welt dazukommen, wären die jetzigen Preise noch nicht das letzte Wort.

WOCHENBLATT: Welche Auswirkungen befürchten Sie aufgrund des Ukrainekrieges für Deutschland?
Strubenhoff: Deutschland und die EU sind bei Getreide Nettoexporteur. In Einzelfällen ist es zu Problemen bei Lieferketten gekommen, zum Beispiel beim Sonnenblumenöl.  Doch insgesamt ist die Verfügbarkeit der Nahrungsmittel gesichert. Es wird nur alles sehr viel teurer für die Verbraucher. Es erhöhen sich auch die Produktionskosten für die Tierproduktion. Wir merken das zum Beispiel an den höheren Preisen für Milchprodukte. Die Milch- und Getreidebauern profitieren erst einmal von den höheren Preisen. Allerdings sollten sie die höheren Preise für Energie und Düngemittel im Blick behalten.

Heinz Strubenhoff wird in Heidenau über die Geschichte der Ukraine berichten und von seinen Erfahrungen dort. Anmeldungen für die Veranstaltung bei Martina Meier Tel. 04182 4630.

Zur Person

Heinz Strubenhoff hat Agrarwissenschaften an der Universität Göttingen studiert und an der Technischen Universität Berlin als Wissenschaftlicher Mitarbeiter gearbeitet und dort auch promoviert. Danach ist er viele Jahre als Berater in Afrika und Osteuropa für ein führendes europäisches Beratungsunternehmen tätig gewesen. Zu den Kunden gehörten u.a. die Europäische Kommission, die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, die Kreditanstalt für Wiederaufbau sowie deutsche und internationale Industrieunternehmen (Landmaschinen, Pflanzenschutz, Saatgut, Ernährungswirtschaft).
Während seiner Arbeit in den vergangenen 40 Jahren hat Heinz Strubenhoff 15 Jahre im Ausland gearbeitet und längere Zeit in Afrika (Togo, Äthiopien) und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion (Moldau, Ukraine) verbracht. Projekteinsätze haben ihn weltweit in mehr als 50 Länder geführt. Dabei war es ihm immer ein besonderes Anliegen, dafür zu werben, dass Investitionen in die Land- und Ernährungswirtschaft nur dann erfolgreich sein können, wenn die agrarpolitischen Rahmenbedingungen stimmen.
Er schreibt regelmäßig über seine Erfahrungen, u.a. für die renommierte Brookings Institution in Washington D.C.

Redakteur:

Bianca Marquardt aus Tostedt

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