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Volkstrauertag in Tostedt: Jeder Krieg ist eine Niederlage

Tostedts Bürgermeister Gerhard Netzel (2. v. re,) bei der Kranzniederlegung am Ehrenmal auf dem Menkenplatz
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bim. Tostedt. Der Gefallenen und Opfer der beiden Weltkriege gedachten am Sonntag landkreisweit Bürger, Politiker, Vereine und Institutionen. In vielen Orten fanden Kranzniederlegungen statt. So auch in Tostedt. "Es sind immer weniger unter uns, die einen persönlichen Anlass zur Trauer haben. Deshalb wandelt sich dieser Gedenktag, verliert aber nicht an Bedeutung. Er gilt der Trauer und der Mahnung", so Tostedts Bürgermeister Gerhard Netzel bei der Gedenkfeier in der Johanneskirche, die von den Töster Sängern und vom Posaunenchor musikalisch umrahmt und von Achtklässlern der Realschule mitgestaltet wurde.
Er sei im vergangenen Jahr gefragt worden, ob der Volkstrauertag noch zeitgemäß sei, 100 Jahre nach dem Ersten und 73 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sowie einem viertel Jahrhundert des Zusammenwachsens von West- und Osteuropa, berichtete Netzel. "Meine Antwort darauf: Nein! Der Volkstrauetrag soll uns gerade in der heutigen Zeit, in der wir mit Kriegen und Konflikten in der Welt konfrontiert sind, daran erinnern, dass Vieles, das in den vergangenen Jahrzehnten in Europa und der Welt erreicht wurde, verloren gehen kann." Heute müssten wir den Blick auf den Wert des Lebens, auf die Würde des Menschen richten und Lehren aus der Trauer ziehen. "Wir dürfen Krieg und Gewalt nicht einfach hinnehmen", so Netzel.
Er erinnerte an den Ersten Weltkrieg, als Soldaten in der "Knochenmühle von Verdun" in einem aussichtslosen und sinnlosen Kampf als "Menschenmaterial" ihr Leben ließen. "70 Millionen Menschen standen unter Waffen, 17 Millionen Menschen haben ihr Leben verloren." Aber: "Man hatte die Stimmen, das Klagen der Gefallenen nicht gehört, das Weinen der trauernden Frauen, Mütter, Väter und Kinder bald vergessen", so Netzel. Denn nur wenige Jahre später begann der Zweite Weltkrieg, in dem geschätzte 50 Millionen Menschen ihr Leben verloren - als Soldaten, in Konzentrationslagern, bei Massenverbrechen oder auf der Flucht.
"In Deutschland leben wir seit 73 Jahren in Frieden, seit 28 Jahren wieder vereint. Die meisten Menschen, die heute in Deutschland leben, wissen nicht mehr aus eigener Erfahrung, wie der Alltag in Kriegszeiten oder in einer Diktatur aussieht."
Die Versöhnung mit den Europäischen Nachbarn sei gelungen. "Am vergangenen Sonntag durfte ich in unserer polnischen Partnerstadt Lubaczow an den Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag der Wiederbegründung Polens teilnehmen. Dass wir Deutsche dort als Gäste begrüßt wurden, ist viel mehr, als vorausgegangene Generationen sich hätten vorstellen können", erklärte Gerhard Netzel. Doch trotz dieser erfreulichen Entwicklung müsse man mit Sorge feststellen, dass bei vielen Mitgliedern der Europäischen Union wieder nationale, teils nationalistische Interessen im Vordergrund stehen. "Grenzzäune, die vor fast 30 Jahre abgerissen wurden, werden wieder errichtet", beklagte Netzel. "In der internationalen Politik werden neue Fronten aufgebaut , Friedenssicherung scheint weniger selbstverständlich zu sein. Auch in Deutschland hat sich das politische Klima verändert. Populisten schüren oder instrumentalisieren Ängste. Worte wie Flüchtlingskrise oder Asyltourismus werden salonfähig." Aber: "Sind die Flüchtlinge die Krise oder bedingen nicht vielmehr die Ursachen der Flucht wie Krieg, Verfolgung und Gewalt die Krise? Sind nicht die Ursachen der Flucht zu beseitigen, um der Krise entgegen zu wirken? Und fragen wir doch mal jemanden, der vor der Nazidiktatur geflohen ist, ob diese Flucht etwas mit Tourismus gemein hat."
Der Bürgermeister forderte: "Lassen Sie uns eine Sprache in unserer Gesellschaft pflegen, in der wir mit Ängsten und Herausforderungen der Zeit konstruktiv umgehen und keine Spaltung der Gesellschaft herbeiführen."
Netzel erinnerte auch daran, dass heute 3.463 Soldaten der Bundeswehr im Auftrag der Vereinten Nationen in Auslandseinsätzen sind. "Weil wir alle keinen Krieg, keine Gräueltaten und keinen Terror wollen, leisten unsere Bundeswehrsoldaten ihren Einsatz in Kriegs- und Krisengebieten." Seit 1992 haben 108 Bundeswehrangehörige bei diesen Einsätzen ihr Leben verloren.
Zum Abschluss zitierte Netzel Kurt Tucholski, der sagte: "Jeder Krieg ist eine Niederlage. Denn Krieg vernichtet Leben!" "Lassen Sie uns heute gemeinsam dafür eintreten, dass wir nie wieder als Gesellschaft diese Niederlage erleiden müssen!", appelierte Netzel an die Teilnehmer der Gedenkfeier.
Die Schülerinnen und Schüler der Erich-Kästner-Realschule sowie ihre Lehrerinnen Elke Müller und Monique Möller trugen Gedanken zum Volkstrauertag vor. Sie zitierten auch Schriftstücke von Zeitzeugen, u.a. aus dem 30- und dem Siebenjährigen Krieg. Jeweils zehn Prozent der männlichen Bevölkerung seien in den beiden Weltkriegen allein in Tostedt gefallen. "Volkstrauertag: Wir sind das Volk, wir trauern und gedenken", erklärten die Jugendlichen und schlossen mit den Worten: "Euer einziger Feind ist der Krieg" nach Erich Kästner, bevor Tostedts Vereine und Institutionen einen Kranz am Mahnmal am Menkenplatz niederlegten.

Gedenken auf dem Friedhof

Noch vor der Gedenkfeier in der Johanneskirche hatte Jens Becker vom Kreisverband Buchholz/Harburg des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge auf dem Tostedter Friedhof einige Worte gesprochen, bevor der Volksbund und der Sozialverband Deutschland jeweils einen Kranz niederlegten.
Er sagte:
"Vor genau 100 Jahren und sieben Tagen endete der Erste Weltkrieg - ein gigantisches Gemetzel, das 17 Millionen Menschen das Leben und 20 Millionen die Gesundheit kostete. Die vielen Opfer des Ersten Weltkrieges konnten aber offensichtlich nicht davon abhalten, dass 20 Jahre später ein noch viel verheerenderer Krieg folgte. Im Gegenteil, die vielen Gefallenen und Opfer wurden als Rechtfertigung für Vergeltung missbraucht. Ein Krieg mit 55 Millionen Toten, das bedeutet, dass jede Minute 17 Menschen den Tod fanden. Eine unvorstellbare Zahl.
Die Erinnerung an all dies Leid aufrecht zu erhalten, dazu dient der Volkstrauertag. Ganz bewusst erinnern wir uns an den industriellen Massenmord, das große Leid, das unser Volk anderen Völkern angetan hat, aber das auch unser Volk erleiden musste.
Gerade in einer Zeit, in der es kaum noch Zeitzeugen gibt, die den nachfolgenden Generationen berichten können, wird das bewusste Erinnern an Tagen wie diesem immer wichtiger.
Auch wenn die meisten heute nicht mehr trauern, so sind wir den Opfern ein würdiges Gedenken schuldig.
Die Völker Europas und deren Regierungen haben erfolgreich daran gearbeitet, dass aus Feinden Freunde geworden sind und die Europäische Einigung geschaffen. Maßgeblich waren Politiker, die die Schrecken der Kriege unmittelbar selbst erlebten. Ihr Ziel war, dass es nie wieder einen Krieg auf europäischem Boden geben darf. Die Gefahr ist aber, dass - je weiter die Schrecken des Krieges entfernt sind - wir immer unvorsichtiger mit der Errungenschaft der Europäischen Einigung als Friedensgarant umgehen. Es ist offensichtlich, dass europafeindliche Strömungen in vielen Staaten der Europäischen Union immer stärker werden.
Je weiter wir uns zeitlich von den Leiden des Krieges entfernen, desto weniger sind wir emotional betroffen von dem, was geschehen ist. Wir Jüngeren müssen dafür kämpfen, dass Europa nicht auseinander driftet, damit auch in ferner Zukunft ein Krieg auf europäischem Boden unvorstellbar bleibt. Auch das sind wir den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft schuldig. In vielen Situationen des Lebens sollten wir uns auch fragen: Wie groß sind meine Sorgen im Vergleich zum Leid, das unseren Vorfahren zugefügt wurde, sie aber auch anderen zugefügt haben.
Respektvoll müssen wir damit umgehen, was sich aus leidvoller Erfahrung vieler einzelner und dem daraus resultierenden Willen zum Frieden an Errungenschaften entwickelt hat. Dieses Vermächtnis gilt es zu wahren und zu pflegen. Wir Deutsche tragen hier eine ganz besondere Verantwortung, dem Vergessen entgegen zu wirken. Tage wie der Volkstrauertag können einen Beitrag dazu leisten. Einen Beitrag, Bewusstsein zu schaffen, indem man sich erinnert.
Die Jüngeren fragen sich, wie soll ich um jemanden trauern, den ich nicht kannte, zu dem ich keine Beziehung hatte? Ich glaube, indem man sich mit Einzelschicksalen, die uns bewegen, auseinandersetzt. Denn Dinge, die uns bewegen, behalten wir und prägen unser Bewusstsein.
Bewegt haben mich die Erzählungen meiner Oma, wie sie als junge Frau allein mit einem Säugling und einem damals Zweijährigen, meinem Vater, mit Pferd und Wagen aus Westpreußen geflüchtet ist. Immer mit der Angst um ihr Leib und Leben und das ihrer Kinder.
Bewegt hat mich die Erzählung meines Opas, als er mir erzählte, wie er mit einem rumänischen Kindersoldaten, der vor lauter Angst nach seiner Mutter schrie, im Schützengraben saß, und ihn nur mit Gewalt davon abhalten konnte, ins gegnerische Feuer zu laufen.
Wir Jüngeren können dankbar sein, dass wir diese Dinge nicht erleben mussten. Von Generation zu Generation darf deshalb das Geschehene nicht in Vergessenheit geraten, damit sich das Leid und die Geschichte niemals wiederholt. Frieden ist nicht selbstverständlich."

Redakteur:

Bianca Marquardt aus Tostedt

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