Fiskus gefährdet Werkstätten für behinderte Menschen / Sechsstellige Steuernachzahlungen

Die Inklusion Behinderter, die in Betrieben wie dieser Wäscherei arbeiten, wird durch den Kurswechsel gefährdet | Foto: Marc-Oliver Schulz
  • Die Inklusion Behinderter, die in Betrieben wie dieser Wäscherei arbeiten, wird durch den Kurswechsel gefährdet
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(mi).

Die Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) sind seit Jahrzehnten ein Beispiel für die erfolgreiche soziale und pä-
dagogische Arbeit mit Menschen, die aufgrund einer Behinderung kaum Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben. In Niedersachsen droht jetzt ein Kurswechsel bei der Steuerpolitik die Angebote der Werkstätten zu gefährden.

Ernst-Albrecht von Moreau, Geschäftsführer der Lebenshilfe Lüneburg-Harburg, die u.a. WfbMs in der Samtgemeinde Tostedt, Buchholz und Winsen betreibt, erklärt die Problematik. Demnach weigerten sich immer mehr Finanzämter in Niedersachsen, für Dienstleistungen, die im Rahmen einer Behindertenwerkstatt erbracht werden, den verminderten Umsatzsteuersatz von sieben Prozent anzusetzen. Bis jetzt sei die Lebenshilfe selbst noch nicht mit dem Problem konfrontiert, in der Zukunft sei das aber nicht ausgeschlossen.
Hintergrund: Die verminderte Umsatzsteuer liegt in der Doppelfunktion, die Werkstätten für Behinderte erfüllen, begründet. Sie übernehmen als sogenannte Zweckbetriebe vielfältige pädagogische bzw. soziale Aufgaben bei der Integration behinderter Menschen und sind gleichzeitig als Unternehmen am freien Markt tätig. Damit sie trotzdem konkurrenzfähig bleiben, sieht der Gesetzgeber vor, die Werkstätten bei der Umsatzbesteuerung zu entlasten. Bis jetzt galt dieses Privileg für alle Leistungen, die durch WfbM erbracht wurden. Laut von Moreau setzte sich aber neuerdings die Haltung in den Finanzverwaltungen durch, nur noch die klassischen Werkstattstätten (Verpackung, Produktion) als Zweckbetrieb anzuerkennen und vermindert zu besteuern.
Damit seien gerade Angebote in ihrer Existenz gefährdet, die von Werkstätten verstärkt aufgebaut wurden, weil sie Menschen mit Behinderung eine Tätigkeit im „normalen Arbeitsleben“ ermöglichten oder sie arbeitsmarktnah auf eine solche vorbereiteten. Dazu gehörten Wäschereien, Gartenbaubetriebe, Cafés oder Sozialkaufhäuser, die unter dem Dach einer WfbM betrieben werden.
Besonders problematisch: Nicht jede Werkstatt sei betroffen. „Es scheint im Ermessen des einzelnen Finanzbeamten zu liegen, was als Zweckbetrieb anerkannt wird“, sagt von Moreau. Der Geschäftsführer fordert: „Hier muss Rechtssicherheit geschaffen werden, notfalls durch das Bundesfinanzministerium.“
Auch die Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für Behinderte Menschen in Niedersachsen (LAG) übt in einer Stellungnahme scharfe Kritik: Das Handeln der Finanzbehörden stehe im Gegensatz zur Haltung der Bundesregierung. Niedersachsen beschreite einen finanzpolitischen Sonderweg, der nicht nur die Inklusion behinderter Arbeitnehmer gefährde, sondern auch zu niedrigeren Löhnen führe. Laut LAG seien einige Werkstätten mit rückwirkenden Steuernachzahlungen im sechsstelligen Bereich konfrontiert.
Schützenhilfe kommt nun aus Politik: Die Landtagsfraktion der CDU forderte jüngst von der Landesregierung, sich für eine moderate Anwendung des Steuerrechts einzusetzen.
Es gibt allerdings auch Befürworter der neuen Praxis. In der freien Wirtschaft klagen vereinzelt Stimmen, man könne mit den Dienstleistungen der Werkstätten, zum Beispiel im Wäschereibetrieb, kaum konkurrieren. Ernst-Albrecht von Moreau kennt diese Vorwürfe: „Das ist so nicht richtig, wir müssen erhebliche Mittel aufwenden, um unsere Mitarbeiter zu qualifizieren und pädagogisch anzuleiten. Ohne einen Nachteilsausgleich bei der Steuer ist einer Werkstatt die Teilnahme am normalen Wirtschaftsleben kaum möglich.“

Redakteur:

Mitja Schrader

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