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Osterfeuer im Landkreis Stade

Angst als ständiger Begleiter

Flüchtlinge konnten oft nur das Nötigste mitnehmen. Betten, wie zerrupft sie auch aussehen mögen, sind in diesen Zeiten Mangelware | Foto: Sammlung Stadtarchiv
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  • Flüchtlinge konnten oft nur das Nötigste mitnehmen. Betten, wie zerrupft sie auch aussehen mögen, sind in diesen Zeiten Mangelware
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bc. Stade. In einer dreiteiligen Serie erzählt das WOCHENBLATT von der dramatischen Flucht der fünfköpfigen Familie Schütz von Pommern nach Stade. Mit gerade mal acht Jahren verlässt Kurt Schütz im März 1945 mit seiner Mutter und den drei Brüdern seine Heimat - notgedrungen, aus Angst vor den Russen. Wie im ersten Teil berichtet, verstirbt unterwegs in Gotenhafen sein zweijähriger Bruder Horst an einer starken Erkältung. Viel Zeit zum Trauern bleibt nicht.

• Als der Bombenangriff vorüber ist, befestigt Mutter Gertrud ein Kreuz am Grab. So schmerzhaft der Verlust ihres jüngsten Sohnes auch ist, sie verspürt eine innere Zufriedenheit, Horst so gut wie möglich beerdigt zu haben. "Um unsere Lebenschancen zu erhöhen, hatten wir nur noch ein Ziel vor Augen: Wir mussten Gotenhafen so schnell es ging verlassen", erinnert sich Kurt Schütz. 17 Tage sitzt die Familie hier fest.

Aus Angst vor Luftangriffen brechen sie im Schutz der Dunkelheit in Richtung Hafen auf. Eine zerbombte Eisenbahnbrücke ist das größte Hindernis: kein Geländer, nur noch vereinzelte Bohlen überspannen einen tiefen Abgrund. Gertrud Schütz kippt den Kinderwagen zur Seite, balanciert ihn auf zwei Rädern über das Tal. Den kleinen Paul (5) nimmt sie an die Hand. Kurt und sein älterer Bruder Heinz (10) kommen nach.

"Auf unserem Weg mussten wir an vielen toten Soldaten vorbei, die exekutiert und in den Bäumen aufgehängt worden waren. An einer Häuserwand lag eine Frau mit einem Bauchschuss. Ihre Kinder saßen weinend neben ihr", schildert Kurt Schütz die grauenhafte Szenerie.

Am Hafenkai angelangt drängen sich bereits die Menschenmassen. Der einzige Weg, der die Schützes und die vielen tausend anderen Flüchtlinge vor den Russen retten kann, ist der Wasserweg. Ein gefährliches Unterfangen. Im Kopf schwirrt Mutter Gertrud das Schicksal der "Gustloff" umher. Das Schiff wurde auf der Ostsee von einem Torpedo versenkt. 6.000 Menschen waren an Bord. Ihr Schiff, die "Waldenfels", wird die gleiche Strecke nehmen.

Eine Fähre bringt die Familie zur "Waldenfels". Der Kapitän fährt einen Zick-Zack-Kurs, um den Bomben russischer Flieger auszuweichen. Jedem Passagier ist die Furcht ins Gesicht geschrieben. Eine Frau macht sich vor Angst in die Hose, durchnässt dabei Kurts Hosenbein.

An langen Strickleitern klettern sie die steile Schiffswand hoch. Ein Marinesoldat trägt Paul an Deck. Familie Schütz findet im Maschinenraum Platz. Der Boden ist mit Stroh ausgelegt. Drei Tage dauert es, bis die "Waldenfels" beladen ist. 4.000 Flüchtlinge und 3.000 verwundete Soldaten sind an Bord.

Wasser gibt es nicht. Kurt und Paul bekommen starken Durchfall. Zum Glück hat ein Soldat Mitleid, führt die beiden zu den Offiziers-Toiletten. Bei den anderen Klos hätten sie eine Stunde lang anstehen müssen.

Ziel der "Waldenfels" ist Dänemark. Plötzlich macht die Nachricht die Runde, dass Dänemark hoffnungslos mit Flüchtlingen überfüllt ist. Das Schiff dreht, nimmt stattdessen Kurs auf Swinemünde. Aber auch dort gibt es keine Chancen anzulanden, der Hafen ist mit Wracks übersät. Schließlich ankern sie vor Ükermünde. Sieben Tage dauert die Fahrt. Zwei Rot-Kreuz-Schwestern bringen Kurt und Paul ins Krankenhaus.

Lange können sie dort nicht bleiben. Die Kanonengeräusche werden immer lauter. Der Russe wird auch hier bald einmarschieren. Gertrud Schütz holt ihre Kinder aus dem Krankenhaus, läuft mit ihnen zum Bahnhof. Dort steht ein langer Zug, der schon übervoll mit Menschen ist. Mehrere Tage sitzen sie am Bahnhof fest, bis endlich eine Lokomotive aufzutreiben ist. Während der Fahrt wird der Zug mehrmals angegriffen. Als ein Flugzeug direkt auf die Lok zurast, schreit Kurt aus voller Kehle.

Im dritten und letzten Teil der Serie erzählen wir die Ankunft der Familie Schütz in Stade und das Leben im Barackenlager.

Zum ersten Teil der Serie

Flüchtlinge konnten oft nur das Nötigste mitnehmen. Betten, wie zerrupft sie auch aussehen mögen, sind in diesen Zeiten Mangelware | Foto: Sammlung Stadtarchiv
Der 78-jährige Kurt Schütz und seine Ehefrau leben heute in Stade-Wiepenkathen
Redakteur:

Björn Carstens aus Buxtehude

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