Bahnprojekt Hamburg/Bremen - Hannover
Keine ICE-Neubaustrecke vor 2050
- Die Realisierung der ICE-Neubaustrecke wird voraussichtlich noch Jahrzehnte dauern. ICE-Halte an kleineren Bahnhöfen in Niedersachsen sind nicht vorgesehen
- Foto: bim
- hochgeladen von Bianca Marquardt
Das Bundesministerium für Verkehr hat den Bericht über das Ergebnis der Vorplanung und frühen Öffentlichkeitsbeteiligung für die Bahnneubautrasse Hamburg/Bremen - Hannover an den Bundestag weitergeleitet. "Diese Dokumente enthüllen die erschreckende Wahrheit über dieses Projekt: Zielmarke für den ersten Zug auf der Strecke ist 2050, allerdings werden als Risiko weitere 13,5 Jahre Bauzeit gesehen. Fertigstellung wäre dann 2063!", informiert der Projektbeirat Alpha-E.
Baukosten zwischen 8,8
und 14 Milliarden Euro
Die Baukosten würden mit 8,8 Milliarden Euro (Gesamtwertumfang, GWU) angegeben, allerdings seien hier noch zahlreiche Baukosten- und Verzögerungsrisiken ausgeblendet. Inklusive dieser Risiken könnte der Neubau sogar rund 14 Milliarden Euro kosten. Auf einer realistischen Kostenbasis sei das Projekt vom Kosten-/Nutzenverhältnis her somit unwirtschaftlich.
Die Forderungen der Region, die u.a. verbesserten Lärmschutz beinhalten, seien zudem fast alle abgelehnt. Diese würden nochmals rund fünf Milliarden Euro ausmachen. Die Regionalbahnhöfe seien offenbar nur als "Lockmittel" angesetzt, Gelder hierfür seien nicht berücksichtigt worden.
Weitere Vorwürfe des Projektbeirats:
- "Die Strecke nutzt erst, wenn die letzte Schiene verlegt ist, dies gilt insbesondere, weil es keine Anbindung an andere Strecken (z.B. Amerikalinie) geben soll.
- Eine Trassenbündelung mit der A7 bzw. der B3 wird in den Dokumenten immer wieder betont, dabei liegt die Trasse ganz überwiegend einige Kilometer von der A7 bzw. B3 entfernt. Das Gebot der Trassenbündelung wird nicht eingehalten.
- Die nach dem niedersächsischen Raumordnungsrecht zwingend notwendige Raumverträglichkeitsprüfung wurde nicht durchgeführt.
- Eine Bürgerbeteiligung, wie sie nach dem 'Handbuch für eine gute Bürgerbeteiligung' des Verkehrsministeriums erforderlich gewesen wäre, hat nicht stattgefunden."
Nachfolgend erläutert der Projektbeirat die zuvor angeführten Aussagen näher:
Fertigstellung 2050 bis 2063
Für die Inbetriebnahme ist im Rahmenterminplan 2050 geplant. Allerdings steht darunter der folgende Absatz:
"In der Gesamtwertprognose (GWP) wurden die Risikosachverhalte auch auf mögliche terminliche Auswirkungen hin bewertet. Die daraus resultierende, mögliche Verzögerung des Vorhabens u.a. aufgrund von Verzögerungen im Planrechtsverfahren, Ressourcenengpässen bei beauftragten Baufirmen und Dienstleistern, Unwägbarkeiten aus Baugrund und Vermessung sowie baubetrieblichen Einschränkungen liegt, bezogen auf die Inbetriebnahme, bei insgesamt 13,5 Jahren.“
Der Projektbeirat kommentiert: "Aus der Erfahrung vergangener Neubaumaßnahmen ist bekannt, dass solche Risiken nicht zu vernachlässigen sind. Eine Fertigstellung erst im Jahr 2063 dürfte also keinesfalls unrealistisch sein."
Anmerkung der Redaktion:
Zum Thema Erfahrung mit Neubaumaßnahmen der Bahn sticht ein Projekt besonders hervor - nämlich "Stuttgart 21". Eine Übersicht über die Historie gibt es auf wikipedia. Dort steht u.a.:
"Die Bauarbeiten begannen im Februar 2010. Die Inbetriebnahme war zunächst für Dezember 2019 geplant, wurde danach aber mehrmals verschoben. Eine Eröffnung war zuletzt für Dezember 2026 geplant, dieser Termin wurde Ende 2025 abgesagt. Die offiziellen Kostenschätzungen des Projekts sind mehrmals gestiegen: von 2,6 Milliarden Euro bei Planungsbeginn über 4,1 Mrd. bei Baubeginn auf über 11,4 Mrd. im Juni 2024."
Die Gesamtwertprognose (GWP)
In der Kostenschätzung wird zunächst der Gesamtwertumfang (GWU) mit nominal 8,8 Mrd. Euro angegeben. Allerdings werden hierbei systematisch bestimmte Risiken und Bauzeitrisiken außer Acht gelassen. Diese Risiken ergeben einen Risikoaufschlag von 5,32 Mrd. Euro. Die Gesamtwertprognose (GWP) berücksichtigt diesen Risikoaufschlag und somit ergibt sich ein Wert von 14,12 Mrd. Euro für die Gesamtkosten.
Nutzen-Kosten-Verhältnis von 0,935
Die DB InfraGo berechnet auf der Basis des Gesamtwertumfangs (GWU) ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von 1,5. Dieses ist zwar die übliche Berechnung, aber gerade bei langlaufenden Projekten, bei denen die Gesamtwertprognose (GWP) erheblich nach oben abweicht, ist dies eine massive Beschönigung der wahren Verhältnisse. Risiken von erheblichem Ausmaß bleiben so bei der Kostenseite einfach unberücksichtigt. Die Gesamtwertprognose ist um den Faktor 1,605 höher als der Gesamtwertumfang. Entsprechend ergibt sich für das Nutzen-Kosten-Verhältnis auf Basis der Gesamtwertprognose: 1,5 / 1,605 = 0,935. Bei einer realistischen aktuellen Einschätzung der Wirtschaftlichkeit ergeben sich also höhere Kosten als Nutzen, das Projekt ist somit unwirtschaftlich. Interessant ist, dass das Bundesverkehrsministerium bei der Fehmarnbeltanbindung beide Werte für das NKV berechnet hat und hierzu folgendes geschrieben hat: „Unter Berücksichtigung der o.g. Risikokosten des GWP ergäbe sich weiterhin eine positive Wirtschaftlichkeit (NKV von 1,1).“4) Wurde diese Berechnung jetzt weggelassen, weil sich mit einem Wert von 0,935 keine Wirtschaftlichkeit ergibt?
Forderungen der Region
Die Forderungen der Region betreffen insbesondere besseren Schallschutz, Erschütterungsschutz, Erhalt von Wegebeziehungen, Wildbrücken und eine regionale Anbindung. Das Eisenbahnbundesamt schreibt hierzu: "Durch die Regionen vor Ort wurden zusätzliche Forderungen zur Vorzugsvariante, die über die gesetzlichen Regelungen hinausgehen und folglich in der Planung nicht berücksichtigt werden konnten, erhoben. Sollten diese Forderungen im Zuge der Projektrealisierung umgesetzt werden, würde dies zu Mehrkosten und einer damit verbundenen deutlichen Verringerung des Nutzen-Kosten-Faktors führen.
Unter Berücksichtigung wirtschaftlicher und gesetzlicher Aspekte können die zusätzlichen Forderungen der Region nicht zur Umsetzung empfohlen werden."
Regionalbahnhöfe
Die DB InfraGo hat zwar im Rahmen ihrer Planungen eine aufwendige Visualisierung eines Regionalbahnhofes in Soltau vorgenommen. Gelder für Regionalbahnhöfe sind aber wie bei den anderen Forderungen der Region nicht berücksichtigt worden. Die Kostenschätzung für die Regionalbahnhöfe wird mit 595,6 Millionen Euro angegeben.
Bezahlen sollen diese Kosten das Land Niedersachsen und die Kommunen. Das Land müsste zudem noch den Betrieb des Regionalverkehrs bezahlen. Finanzielle Mittel hierfür fehlen allerdings sowohl beim Land als auch bei den Kommunen.
Trassenbündelung
Raumordnerisch gilt das Gebot der Trassenbündelung: Nicht einmal auf zehn Prozent der Strecke gibt es eine Bündelung, dies ist im Wesentlichen ein Streckenabschnitt bei Soltau. Ansonsten läuft die Strecke überwiegend Kilometer von der A7 beziehungsweise der B3 entfernt durch die freie Landschaft.
Raumordnung
Für Neubaustrecken ist eine Raumverträglichkeitsprüfung zwingend erforderlich, erst auf dieser Grundlage kann ein Bundestagsbeschluss eine konkrete Strecke festlegen. Stattdessen wird von der DB InfraGo auf die vollkommen intransparente Untersuchung durch den Vorhabenträger selbst verwiesen. Auf diese Weise werden die Beteiligungsrechte der Öffentlichkeit bei der Trassenfindung komplett ausgehebelt.
Bürgerbeteiligung
Die DB InfraGo hat bisher keine Bürgerbeteiligung im eigentlichen Sinne durchgeführt. Zu ihren Infoveranstaltungen hat sie folgendes geschrieben: „Entlang von unterschiedlichen Themeninseln können sich alle Interessierten über die verschiedenen Aspekte der Neubauplanung informieren, ähnlich einem Tag der offenen Tür.“ Dies war kein Beteiligungsformat. In einer Veröffentlichung des Bundesministeriums für Verkehr heißt es, dass „... die Bürger von Beginn an umfassend und transparent im Sinne einer frühzeitigen Bürgerbeteiligung an den Verfahren beteiligt werden.“
Fazit des Projektbeirats
"Die Gesamtwertprognose wurde in der Bedarfsplanumsetzungsvereinbarung fest-geschrieben, um den ständigen und massiven Kostensteigerungen bei großen Infrastrukturprojekten entgegenzuwirken. Wenn man diese dann aber für die Berechnung des Nutzen-Kosten-Faktors nicht anwendet, ist das Schönfärberei. Ein unwirtschaftliches Projekt wird so als vermeintlich wirtschaftlich dargestellt.
Die Überlastung der Bahnstrecken im norddeutschen Raum ist Realität, es braucht schnellstmögliche Verbesserungen. Dies war schon eine Erkenntnis im Dialogforum Schiene Nord, und diese trifft immer noch vollends zu. Eine Neubaustrecke, die frühestens in 25 Jahren, vielleicht auch erst in 38 Jahren fertig ist, nützt leider gar nichts für die aktuellen Probleme. Es ist sogar noch schlimmer, denn durch die weitere Planung dieser Neubaustrecke würden Ressourcen gebunden und die dringend notwendigen Kapazitätserweiterungen würden weiterhin blockiert werden, wie es bereits bei der Y-Trasse in der Vergangenheit der Fall war.
Für den Klimaschutz ist diese Neubaustrecke eine Katastrophe. Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden, Niedersachsen sogar bis 2040. Der Bau der Strecke würde die CO2-Bilanz also noch weit über den Zeitpunkt der angestrebten Klimaneutralität hinaus belasten, ohne dass es bis dahin irgendeine CO2-Einsparung gäbe."
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Redakteur:Bianca Marquardt aus Tostedt |
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