Stadt Buchholz treibt Rentner in den Wald

Rolf Pöker liegt auf der Veranda einer kleinen Hütte mitten im Wald. Dort hat er zuletzt mehrere Nächte geschlafen
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Foto: Helena GARCIA@AdobeStock.com

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mum. Buchholz. „Ich schlafe mitten im Wald“, sagt Rolf Pöker (74). Er sitzt zusammengesunken auf einem Stuhl. Davor steht ein Rucksack, in dem er seine Habseligkeiten aufbewahrt. „Die Stadt Buchholz hat mich jetzt zu einem echten Obdachlosen gemacht.“ Bis zum 12. Juli wohnte Pöker in der Obdachlosenunterkunft an der Bremer Straße. Aus dem kleinen Not-Quartier zauberte er ein behagliches Heim mit gepflegten Blumenbeeten vor der Tür. Fast dreieinhalb Jahre war dies sein Zuhause. Pöker räumt ein, dass es immer wieder zu kleineren Auseinandersetzungen mit dem Hausmeister gekommen sei. Meist ging es dann um Pökers Tiere. Der 74-Jährige ist ein großer Tiernarr, der ohne sie nicht leben mag.
Schließlich eskalierte die Situation: Am 11. Juli verschafften sich Mitarbeiter der Stadt und des Buchholzer Tierheims, unterstützt von der Polizei, Zutritt zu Pökers Wohnung und nahmen ihm sein Wertvollstes - seine Tiere. Der Rentner hielt mehrere Kanarienvögel sowie Zwerghühner. „Einige Küken waren bereits geschlüpft“, sagt Pöker. „Sie wurden in der Wohnung zurückgelassen und verendeten qualvoll.“ Der Rentner war fassungslos: „Ich habe die Kontrolle über mich verloren und einen Stein durch die Scheibe der Hausmeister-Wohnung geschleudert“, sagt der 74-Jährige mit brüchiger Stimme. „Das bedauere ich zutiefst.“ Einen Tag später schmiss man ihn aus der Wohnung.
„Ich war völlig verstört“, erinnert sich Pöker. Für ein paar Nächte fand er Unterschlupf in der Begegnungsstätte Waldesruh. Als das Geld aufgebraucht war, ging er in den Wald. Dort fand er ein unbewohntes Wochenendhaus auf dessen Veranda er bis zuletzt schlief. „Früh am Morgen fahre ich nach Buchholz, um mich dort auf einer öffentlichen Toilette zu waschen“, so Pöker. „Dann warte ich darauf, dass der Tag vergeht.“
Die Stadt Buchholz hat den Obdachlosen Rolf Pöker aus der Not-Unterkunft an der Bremer Straße geworfen. André Riesenkampff, Anwalt aus Buchholz, vertritt Pöker, der einst in der Geflügelzucht und als Hausmeister gearbeitet hat.
„Ich bin entsetzt, wie die Stadt Buchholz mit meinem Mandanten umgeht.“ Vor Gericht versucht der Jurist, für Pöker wieder eine Unterkunft in Buchholz zu erstreiten. Riesenkampff will der Stadt nichts unterstellen, allerdings habe er das Gefühl, dass hier jemand seine Muskeln spielen lasse. Pöker habe stets auf Missstände in der Unterkunft hingewiesen. Zuletzt auch im WOCHENBLATT. „Danach wollte man mich loswerden“, ist Pöker überzeugt.
In der Einrichtung sind 13 Menschen untergebracht. Für sie stehen täglich zwei mal zwei Stunden Duschzeit zur Verfügung. „Das ist viel zu wenig“, kritisiert Pöker. Am Wochenende ist die Nutzung der Duschen sogar komplett verboten. Für die 22 Quadratmeter große Wohnung zahlt der Rentner 308 Euro. Ihm bleiben dann noch knapp 300 Euro zum Leben.
„Früher habe ich mal sehr viel Geld verdient“, erinnert sich Pöker. 13 Jahre hat der 74-Jährige in der ehemaligen DDR unter Tage geschuftet. „Ich habe Uranerz abgebaut“, sagt er. „Da war man der König in der Zone.“ Allerdings hätten auch nur zwei von zehn Kumpels das Rentenalter erlebt.
Und eine Frau? „Als ich jung war, hatte ich immer wieder Beziehungen“, so Pöker. Doch dann sei er stets vor die Entscheidung Frau oder Tiere gestellt worden. „Jetzt, wo ich alt und allein bin, weiß ich, dass ich mich damals gegen die Tiere hätte entscheiden sollen.“
Lässt es die Stadt-Mitarbeiter eigentlich kalt, dass sie einen Rentner dazu zwingen, im Freien zu übernachten? In einem Schreiben an den Obdachlosen heißt es: „Gerade zur Sommerzeit sind die persönlichen Umstände für eine Versorgung in Eigeninitiative begünstigt.“ Damit sei selbstverständlich nicht gemeint, dass Herr Pöker im Wald übernachten soll, so Sprecher Heinrich Helms. „Aber er besitzt ein Fahrrad und ist daher bei der Wohnungssuche nicht auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen.“
Jeder andere hätte spätestens jetzt die Stadt verlassen, um irgendwo anders sein Glück zu suchen. „Das kommt für mich nicht in Frage“, sagt Pöker. Sein einziger Freund wohne in Buchholz. Den wolle er nicht auch noch verlieren.
Die Klage von Anwalt Riesenkampff zeigt Wirkung: „Wir werden Herrn Pöker wieder eine Unterkunft zur Verfügung stellen“, so Helms auf WOCHENBLATT-Nachfrage. Allerdings werde der Rentner nicht in die Unterkunft an der Bremer Straße zurückkehren. Am Donnerstagabend erhielt Pöker die Schlüssel.

Und das sagt die Stadt Buchholz:

Mehrfach habe die Verwaltung Pöker aufgefordert, die Tiere zu entfernen, so Sprecher Heinrich Helms. Tierhaltung führe zu Problemen unter den Bewohnern. Zudem habe es immer wieder Auseinandersetzungen mit dem Rentner gegeben. Zum Rauswurf habe letztlich geführt, dass er eine Mitarbeiterin der Stadt mit einem Stein bedroht und schließlich eine Scheibe eingeworfen habe. „Das war eine lebensgefährliche Situation für die betreffende Mitarbeiterin“, so Helms.
Und wie steht es um Waschräume? In den Duschräumen habe es in der Vergangenheit des Öfteren „Wasser-Missbrauch“ gegeben. So hätten die Bewohner dort ihre Wäsche und ihr Geschirr gewaschen, erklärt Helms das Verbot. Aber in den Wohnungen gebe es Waschnischen.

Ein Lese-Tipp:
Bewohner kritisiert Zustände in der Obdachlosenunterkunft in Buchholz

Redakteur:

Sascha Mummenhoff aus Jesteburg

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