Landesamt für Soziales verweigert Opferentschädigung
Alan sah den Mord an seinem Opa und bekommt keine Hilfe
tk. Buxtehude. Es ist der 4. November 2014, an dem aus dem fröhlichen Kind Alan (damals 5), ein schwer traumatisierter Junge geworden ist: Er musste mit ansehen, wie sein Großvater Tadeusz S. im Hochhaus Schröderstraße 9 in Buxtehude von Markus S. (damals 26) von hinten in einem engen Fahrstuhl mit einem Messer erstochen wurde. Der sogenannte Fahrstuhlmord hatte bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Der Täter war psychisch krank, fühlte sich von Dämonen verfolgt. Alans Großvater war ein Zufallsopfer. Der Junge hat danach aufgehört, Deutsch zu sprechen. "Deutsch verbindet er mit dieser Tat, die ihn aus seinem Leben gerissen hat", sagt die Buxtehuder CDU-Politikerin Sylvia Köhnken.
Gemeinsam mit dem Buxtehuder Anwalt Christian Au kämpft sie dafür, dass Alan nach Jahren endlich eine Opferentschädigung bekommt. Das dafür zuständige Landesamt für Soziales, Jugend und Familie verweigert aber die Anerkennung seiner Traumatisierung - eine Entscheidung, die ausschließlich nach Aktenlage getroffen wurde. "Es geht nicht um eine Million Euro, sondern um 125 Euro im Monat für eine Therapie", empört sich Sylvia Köhnken.
Gemeinsam mit Anwalt Au will sie eine breite Öffentlichkeit herstellen. "Der Junge hat einen Anspruch auf Hilfe", betont Sylvia Köhnken. Am Dienstag hatte das Magazin "Panorama 3" über den Fall berichtet.
"Die Familie wurde zerrissen"
Sylvia Köhnken fasst das Problem zusammen: Auf das furchtbare Erlebnis hat der Junge mit der Weigerung, Deutsch zu sprechen reagiert. Polnisch rede er. "Wenn ich ihn auf Deutsch etwas frage, antwortet er auf Polnisch", sagt Sylvia Köhnken. Was im Übrigen zeige, dass keinerlei geistige Beeinträchtigung vorliege. Auch das sei eine Überlegung gewesen, die von Behördenseite schon angestellt worden sei.
Mittlerweile lebt der Junge in Polen bei seinem Vater. Die Eltern waren schon vor dem Mord geschieden. Die Mutter ist mit zwei Geschwistern in Buxtehude geblieben. "Die Familie wurde zerrissen", so Sylvia Köhnken. Einen anderen Weg habe es aber nicht gegeben, weil der traumatisierte Alan in einer deutschen Grundschule nicht habe unterrichtet werden können. In Polen sei es für ihn durch seine Muttersprache einfacher. Der Vorschlag von Behörden, ihn in einer Klinik in Deutschland zu therapieren, bringe gar nichts, wenn er kein Deutsch sprechen wolle, sagt Sylvia Köhnken. Die Therapieversuche vorher seien allesamt erfolglos geblieben.
Kein Dolmetscher beim Gutachtertermin
Was die CDU-Ratsfrau aus Buxtehude, deren Mutterspreche Polnisch ist, wütend und fassungslos macht: Das Landesamt setzt Anfang 2020 einen Gutachtertermin in Oldenburg an. Alan kommt aus Polen angereist und dann war kein Dolmetscher zur Stelle. "Auf diese Notwendigkeit habe ich hingewiesen", sagt sie dem WOCHENBLATT. Ein zweiter Termin scheitert, weil niemand den heute 13-jährigen Alan nach Deutschland begleiten konnte. Das Landesamt entscheidet schließlich nach Aktenlage und ohne gutachterliche Expertise: Opferentschädigung abgelehnt. Das wird Rechtsanwalt Christian Au nicht hinnehmen. Er hat Widerspruch eingelegt.
Wird Alan ein Fall fürs Gericht?
Was ihn erzürnt: Einerseits verlange die Behörde vor einer Entscheidung ein Gutachten, dann verzichte sie darauf. Hinzu komme, dass es den Anschein habe, als ob die Traumatisierung durch den Fahrstuhl-Mord von der Amtsseite relativiert werden solle. Es könne auch sein, so das Landesamt, dass eine Belastung schon vorher durch die Trennung der Eltern vorgelegen habe. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass der Fall Alan noch die Gerichte beschäftigen wird.
Stellt sich abschließend die Frage, wofür der Begriff "Soziales" bei dieser Landesbehörde eigentlich steht.
Wegen Beweislosigkeit abgelehnt
(tk). Die Landesbehörde antwortet auf die WOCHENBLATT-Fragen nicht, weil die Redaktion von Alans Erziehungsberechtigten keine Entbindung von der Schweigepflicht vorweisen kann. Auf die Schnelle sind diese Dokumente nicht herbeizuschaffen. Gegenüber der Redaktion von "Panorama 3" teilt das Landesamt mit, dass der Beweis eines Schadens nach Aktenlage nicht möglich sei. Der Antrag wurde daher wegen Beweislosigkeit abgelehnt.
Warum kein Dolmetscher beim Gutachtertermin anwesend war, liege nicht in der Verantwortung der Behörde. "Die Organisation der Termine obliegt grundsätzlich den Gutachterinnen und Gutachtern", teilt das Landesamt der "Panorama 3"-Redaktion schriftlich mit. Weil der Gutachter im Verlauf des Sommers 2020 keine Möglichkeit für einen weiteren Termin gesehen habe, sei nach Aktenlage entschieden worden.
Der Täter sitzt in der Psychiatrie
(tk). Markus S., der den Rentner erstochen hatte, wurde im April 2015 nach nur zwei Tagen Verhandlung auf unbestimmte Zeit in den Maßregelvollzug, also eine psychiatrische Einrichtung für Straftäter, geschickt.
Nach Überzeugung des Gerichts war S. schuldunfähig, stellt aber weiterhin eine erhebliche Gefahr für andere dar.
Er leidet unter paranoider Schizophrenie. Die Unterbringung im Maßregelvollzug ist, anders als eine Haftstrafe, zeitlich nicht befristet. Nach dem Urteil lebenslänglich besteht die Möglichkeit, nach 15 Jahren einen Antrag auf Aussetzung zur Bewährung zu stellen. Diese Möglichkeit hat ein Patient im Maßregelvollzug nicht.
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