Landkreis Harburg
Lehrkräfte als Verfügungsmasse

Mit Spaß bei der Arbeit: Quereinsteigerin Kathleen Sünder 
unterrichtet an der Rudolf-Steiner-Schule Nordheide | Foto: bim
  • Mit Spaß bei der Arbeit: Quereinsteigerin Kathleen Sünder
    unterrichtet an der Rudolf-Steiner-Schule Nordheide
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JOBS und KARRIERE

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Viele Jahre lang wurde den sogenannten "Babyboomern" und folgenden Generationen eingeredet, auf keinen Fall auf Lehramt zu studieren. Denn Lehrkräfte gebe es buchstäblich wie "Sand am Meer". Entsprechend schlecht seien die Einstellungschancen. Das und die inzwischen überbordende Bürokratie rächen sich jetzt. Bundesweit klagen Schulen über Lehrermangel. Hinzu kommen steigende Schülerzahlen wegen geflüchteter und zugewanderter Menschen.

Abordnungen als Abhilfe
gegen Unterrichtsausfall

Um Abhilfe gegen den Unterrichtsausfall zu leisten, wurden zum Beispiel an die Glockenbergschule, die Grundschule in Hollenstedt, neun Lehrer von weiterführenden Schulen "abgeordnet", wie es im Behördendeutsch heißt. Dort waren zeitgleich drei Lehrerinnen schwanger und 84 Unterrichtsstunden vakant. Mit den abgeordneten Lehrkräften gebe es zwar eine hundertprozentige Unterrichtsversorgung, berichtet Schulleiterin Sandra Pankow-Waller. Allerdings sei es ein großer Unterschied in Sprache, Didaktik und Methodik und ob man einen Jugendlichen oder einen Erstklässler unterrichte. Auch sollten die Hauptfächer bestenfalls von den Lehrkräften unterrichtet werden, die die Kinder kennen.

Das Problem
ist nicht neu

Niedersachsenweit fehlen Lehrkräfte. Das Problem ist nicht neu, seit vielen Jahren klagen Eltern und Schüler immer mal wieder über Unterrichtsausfälle. Um dem Lehrkräftemangel entgegenzuwirken, werden Lehrkräfte weiterführender Schulen an Grundschulen abgeordnet und umgekehrt. Auch werden Quereinsteiger aus anderen Berufen angeworben.

81 Lehrkräfte im
Landkeis Harburg betroffen

Im Landkreis Harburg wurden an Grund-, Haupt-, Real-, Ober- und Förderschulen 54 Lehrkräfte abgeordnet. An Gymnasien und Gesamtschulen wurden 27 Lehrkräfte abgeordnet.
Zu den abordnenden Schulen gehören vor allem Gymnasien. Zum Beispiel das Gymnasium Hittfeld. "Wir haben Glück: Einige Langzeitkranke kommen jetzt zurück", sagt Schulleiter Frank Patyna. "Bis auf das Fach Politik können wir die Stundentafel besetzen." Seine Schule hat Lehrer an fünf andere Schulen abgegeben, an drei Gymnasien (in einem Fall für ein zweisprachiges Projekt), an die Integrierte Gesamtschule und allein zwei Vollzeitstellen gingen an die Grundschule im Ort.

Lehrermangel an Grund-
und Oberschulen

Doch Lehrermangel herrscht nicht nur an Grundschulen. Besonders schlecht versorgt seien die Oberschulen, sagt Erika Weusthof, Schulleiterin der Oberschule am Buchwedel in Stelle. "Auch wir haben deutlich zu wenig Lehrer." An ihrer Schule unterrichten deshalb auch mehrere abgeordnete Gymnasial- und Grundschullehrer. Dass diese mit der anderen Schulform klarkommen, ist für Weusthof kein Problem: "Die können sich da meistens schnell einarbeiten." Eher problematisch: Gymnasiallehrer dürften nur die Fächer unterrichten, die sie studiert haben. An anderen Schulen gebe es auch Neigungsfächer, in denen Lehrer sich bei Bedarf fortbilden könnten.

Für das kommende Schuljahr sieht es an der Oberschule kaum besser aus: Zwar käme eine Lehrkraft aus der Elternzeit zurück, eine andere beende ein Sabbat-Halbjahr. Aber ein Kollege gehe in den Ruhestand. Es fehlten weiter Lehrkräfte.

Wissensvermittlung
und Erziehungsarbeit

Woran liegt es, dass zu wenige junge Menschen Lehrer an einer Oberschule werden wollen? Auch an der Schulform, sagt Weusthof. "Es mag sein, dass an anderen Schulen nur Wissen vermittelt wird. Aber wir müssen mindestens 50 Prozent unserer Zeit Erziehungsarbeit bei den Schülern leisten." Denn viele Eltern seien damit überfordert.

Eine denkbare Lösung: Mehr sozialpädagogische Unterstützung in der Schule. Und: Sehr viel Dokumentation und Bürokratie mache den Lehrerberuf unattraktiv für junge Leute. Besonders die Klassenleitungen seien damit stark belastet. "Da müsste es auch Entlastung geben."

Auch um Quereinsteiger
wird geworben

An mehreren Schulen wird auch um Quereinsteiger geworben - Fachkräfte aus anderen Branchen, die Kinder und Jugendliche unterrichten. Eine solche Quereinsteigerin ist Kathleen Sünder, die Mathematik an der Rudolf-Steiner-Schule (RSS) Nordheide, der Waldorfschule in Kakenstorf in freier Trägerschaft, unterrichtet.

Die studierte Diplom-Informatikerin hat zehn Jahre lang als Game-Designerin gearbeitet und Fachvorträge zur Spieleentwicklung an Universitäten und privaten Fachhochschulen gehalten. Ab 2012 bildete sie sich nebenberuflich als Zirkuspädagogin weiter. Als sie 2019 nach Buchholz zog, suchte sie eigentlich Räume für ihre Zirkuskurse. "Als ich Kontakt zur RSS aufnahm, wurde ich gefragt, den Mathematikunterricht in der Oberstufe zu übernehmen. Voraussetzung hierfür war ein abgeschlossenes Studium in einem artverwandten Fach, sprich Informatik", berichtet Kathleen Sünder, die inzwischen Mathematik in den Klassen neun bis zwölf lehrt. "Aktuell suchen wir händeringend Mathe- und Physiklehrerinnen und -lehrer. Im Moment kommen wir zwar über die Runden, aber es darf auch niemand krank werden. Grundsätzlich betrifft der Lehrkräftemangel aber auch alle anderen Fächer, da in den kommenden zehn Jahren etwa die Hälfte des Kollegiums in den Ruhestand eintritt", erläutert Kathleen Sünder. (pöp/bim).

Die Unterrichtsversorgung an Niedersachsens Schulen

Die Unterrichtsversorgung der öffentlichen allgemeinbildenden Schulen in Niedersachsen:

Grundschulen: 98,8 Prozent (Schuljahr 2021/2022: 100,1 Prozent)

Gymnasium: 98,2 Prozent (Schuljahr 2021/2022: 99,3 Prozent)

Gesamtschulen: 95,0 Prozent (Schuljahr 2021/2022: 95,9 Prozent)

Realschulen 94,7 Prozent (Schuljahr 2021/2022: 96,4 Prozent)

Oberschulen: 93,1 Prozent (Schuljahr 2021/2022: 94,6 Prozent)

Hauptschulen: 91,8 Prozent (Schuljahr 2021/2022: 93,0 Prozent)

Förderschulen: 91,2 Prozent (Schuljahr 2021/2022: 90,8 Prozent)

Für das Minus von 1,1 Prozentpunkten bei der statistischen Unterrichtsversorgung ist laut Landesschulbehörde die Kombination unterschiedlicher Faktoren verantwortlich. Hierzu zählen deutlich gestiegene Schülerzahlen um mehr als 25.000, vorübergehende oder längerfristige Abwesenheiten von Lehrkräften wegen Beschäftigungsverbots während der Schwangerschaft, Erkrankung über sechs Monate oder Teilzeitbeschäftigung aus familiären Gründen, aber auch u.a. weiterhin steigende Bedarfe für Inklusion und Ganztagsangebote.

Redakteur:

Bianca Marquardt aus Tostedt

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