Neue Notfallversorgung für Landkreise geplant
Notfallzentren, Vernetzung, Telemedizin
- Bald bundeseinheitlich geregelt? Auch der Rettungsdienst soll reformiert werden
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Bei einem medizinischen Notfall 112 anrufen, dann kommt der Rettungsdienst und bringt den Patienten so gut wie immer in die Notaufnahme im Krankenhaus - so funktioniert die Notfallversorgung bisher. Doch die Notaufnahmen der Krankenhäuser sind überfüllt, die Ärzte kommen mit den Behandlungen kaum nach - auch, weil oftmals gar kein Notfall vorliegt, sondern das medizinische Problem genauso gut vom Haus- oder Facharzt hätte versorgt werden können, der Patient dort aber keinen Termin bekam oder gerade geschlossen ist.
Seit über einem Jahr plant die Bundesregierung deshalb ein neues Gesetz zur Notfallversorgung (NotfallG): Damit soll gleichzeitig auch die Organisation des Rettungsdienstes reformiert werden. Jetzt muss noch der - inzwischen neu gewählte - Bundestag über den von der alten rot-grünen Regierung entworfenen und verabschiedeten Gesetzentwurf entscheiden. Was ist da geplant? Und: Was halten Krankenhäuser, Rettungsdienste, Ärzte- und Patientenvertreter davon?
Das ist geplant:
1. Akutleitstellen: Die Notrufnummer 112 soll als Akutleitstelle bestehen bleiben. Anrufer mit nicht lebensbedrohlichen Beschwerden sollen über eine digitale Vernetzung an den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst 116117 weitergeleitet werden. Dort wird entschieden, ob eine Notfallpraxis, ein Hausbesuch eines Arztes oder eine telemedizinische Versorgung ausreichen könnte.
2. Integrierte Notfallzentren (INZ): An Krankenhäusern sollen sogenannte "Integrierte Notfallzentren" eingerichtet werden: Sie sollen rund um die Uhr verfügbar sein und Notaufnahme, Notdienstpraxis und Ersteinschätzungsstelle unter einem Dach bündeln. Es soll so viele geben, dass sie für 95 Prozent der Bevölkerung innerhalb von 30 Minuten erreichbar sind. Für Kinder und Jugendliche sind besondere INZ geplant.
3. Telemedizin und Hausbesuche: Für Patienten, die nicht mobil sind, oder die auf dem ärztlich schlecht versorgten Land wohnen, soll die Rund-um-die-Uhr-Versorgung über telemedizinische und mobile Hilfsdienste erfolgen. Das heißt zum Beispiel: Der Rettungswagen kommt nicht mit Notarzt, sondern kann den Arzt digitale Wege hinzuziehen.
4. Qualitätsstandards: Das Gesetz soll auch vorschreiben, wie viel Personal in Leitstellen und INZ mindestens vorhanden sein muss. Für die Erreichbarkeit werden Mindeststandards festgelegt: Drei Viertel der Anrufer sollen binnen drei Minuten durchgestellt werden müssen. Bei maximal fünf Prozent ist eine Wartezeit über zehn Minuten noch okay.
5. Finanzierung: Neue Finanzierungsmodelle sollen langfristig Einsparungen ermöglichen – prognostiziert werden Kosten von bis zu einer Milliarde Euro jährlich. Ob der Bund sich an den Kosten für den Aufbau der neuen Einrichtungen beteiligt, ist noch unklar.
So kommt der Gesetzentwurf an:
1. Krankenhäuser
Kai Uffelmann und Klaus-Jörg Bossow, beide Geschäftsführer der Krankenhäuser Buchholz und Winsen, finden, die neue Regierung soll den vorliegenden Entwurf nicht einfach übernehmen. Stattdessen sollte man "eigene Ansätze entwickeln und gemeinsam mit allen Beteiligten praxisnahe Lösungen erarbeiten." Viele der "bisher sehr hoch formulierten Ziele" hätten in der täglichen Arbeit der Krankenhäuser und Rettungsdienste kaum Relevanz oder seien kaum umsetzbar. Man müsse auch "die Patienten ins Boot holen", so Uffelmann und Bossow in einer gemeinsamen Erklärung. Die INZ könnten die Notaufnahmen nur entlasten, wenn sich genug niedergelassene Ärzte fänden, die die Notfallpraxen besetzen. Gelinge das nicht, "werden viele Menschen zwangsläufig doch in die Notaufnahme gehen", erwarten Uffelmann und Bossow. Die Reform des Rettungsdienstes sollte man aus dem Gesetz herausnehmen und separat bearbeiten. Uffelmann und Bossow: "Sonst wird die ganze Reform verzögert." Schließlich verfüge man im Landkreis Harburg bisher schon über "hoch qualifiziertes und engagiertes Personal".
Zwei Punkte sind ihnen besonders wichtig: eine angemessene Finanzierung für den Aufbau der neuen INZ und die Berücksichtigung der besonderen Situation im Landkreis Harburg mit großer Fläche, mit dem Ziel, schnell helfen zu können: Dafür müssten an beiden Krankenhausstandorten Winsen und Buchholz INZ entstehen - und finanziert werden.
2. Rettungsdienst
Der Rettungsdienst wird im Landkreis Harburg von DRK, Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH) und Rettungsdienst Landkreis Harburg (RDLK) geleistet, im Landkreis Stade von DRK und JUH. Die Feuerwehr-Leitstellen (112) organisieren die Einsätze.
Beim DRK findet man eine Reform überfällig. Jan Bauer, Vizepräsident des DRK Harburg-Land, erklärt, das DRK unterstütze die Einführung von Akutleitstellen und INZ. Bauer sieht jedoch bei der praktischen Umsetzung noch viel Nachbesserungsbedarf, vor allem bei Finanzierung und Personal: "Bürokratische Hürden und unklare Refinanzierung führen zur Skepsis bezüglich Umsetzbarkeit. Kliniken signalisieren, dass Engpässe wenig mit der Anzahl leichter Fälle und mehr mit fehlenden Betten und Personal im stationären Bereich zu tun haben – hier liegt das eigentliche Kernproblem."
Bauer kritisiert, dass zentrale Reformelemente – etwa zur Neuausrichtung des Rettungsdienstes – ohne ausreichende Konzepte in den Entwurf eingeflossen seien. Um eine flächendeckende Qualität sicherzustellen, fordert Bauer unter anderem eine gesetzliche Verankerung des Rettungsdienstes mit verbindlichen Standards sowie die Einbindung von Hilfsorganisationen und Kommunen. Zusätzlich schlägt das DRK flexible Lösungen für strukturschwache Regionen vor, eine kontinuierliche Überwachung der Umsetzung und eine bessere Verzahnung mit der Krankenhausreform.
3. Patienten
Der Sozialverband Deutschland (SoVD) hält die geplante Reform der Notfallversorgung für überfällig, teilte Landespressesprecherin Stefanie Jäkel mit. Positiv bewertet der Verband, dass der Gesetzentwurf stärker aus Sicht der Patienten gedacht ist. Die geplanten Akutleitstellen könnten durch standardisierte Abfragen und digitale Fallübergaben zur Entlastung der Notaufnahmen beitragen. Allerdings sei die vorgesehene Wartezeit von bis zu zehn Minuten zu lang.
Integrierte Notfallzentren würden die Versorgung verbessern und die Krankenhaus-Notaufnahmen spürbar entlasten. Der SoVD fordert, den Rettungsdienst in das Sozialgesetzbuch V aufzunehmen und verbindliche Qualitätsstandards, Mindestpersonal und Qualifikationen gesetzlich zu verankern. Der Einsatz qualifizierten nichtärztlichen Personals sei sinnvoll, müsse aber klar ärztlich begleitet werden.
4. Ärztevertreter
Der Marburger Bund Niedersachsen unterstützt die Einrichtung von INZ an den Krankenhäusern, in denen die ambulante und stationäre Notfallversorgung unter einem Dach organisiert wird, damit die Zahl der Patienten besser gesteuert werden kann, Doppelstrukturen vermieden werden und alle Ressourcen effizient eingesetzt werden. Aber nur wenn die Ersteinschätzung verbindlich durch medizinisches Personal erfolge, könne man eine passende Zuweisung sicherstellen, so Hans Martin Wollenberg, Erster Vorsitzender des Marburger Bundes Niedersachsen,
Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen begrüßt die Reform grundsätzlich, vor allem den verstärkten Einsatz von Telemedizin und die Streichung einer Verpflichtung zum Vorhalten einer 24/7 telefonisch erreichbaren Terminservicestelle. Ansonsten sei der Gesetzentwurf, "gerade auch im Hinblick auf die geplante Terminservicestelle und die INZ von einer Detailregelungswut getragen, die es unmöglichen machen würde, vor Ort tragfähige Lösungen zu finden", erklärt Sprecher Detlef Haffke.
Eine echte Patientensteuerung durch eine standardisierte Ersteinschätzung in Akutleitstellen mache aber "absolut Sinn", so Haffke. Die Anrufer seien aber nicht das Hauptproblem, sondern die Patienten, welche die Notaufnahmen persönlich aufsuchen. Die Kassenärztliche Vereinigung fürchtet außerdem, dass die in INZ eingesetzten Fachärzte an anderen Stellen fehlen würden.
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