Hilferuf aus dem Klassenzimmer

Die Situation an seiner Schule 
lässt manchen Lehrer nur noch 
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Landkreis Stade: Grundschullehrerin spricht über "dramatische Zustände"

ab. Landkreis. Zu große Klassen, unterschiedliche Leistungsstände und Sprach-Niveaus, marode Gebäude, Mangel an Platz, Zeit und Geld und dazu aggressive Schüler, die ständig aufeinander losgehen: Nicht etwa von einer Schule in der New Yorker Bronx ist die Rede, sondern von einer Grundschule im Landkreis Stade. Tanja R.*, Grundschullehrerin an dieser Schule, spricht Klartext.
„Es gibt Schüler, die permanent zu spät kommen, im Unterricht stören, die Lehrer anschreien - vom Vokabular mal ganz abgesehen.“ Der Umgangston werde schnell aggressiv, Konflikte körperlich ausgetragen.
Doch das sei nur eines der Probleme, mit denen sie und ihre Kollegen täglich konfrontiert werden. Die Zustände in den Grundschulen verschlechtern sich drastisch.

„Unsere Klassen lassen sich in vier verschiedene Schüler-Gruppen unterteilen“, sagt die Insiderin, „in normale Schüler, jene mit erhöhtem Lernbedarf, ADHS-Kinder mit erhöhtem Aufmerksamkeitsbedarf und Flüchtlingskinder, überwiegend ohne deutsche Sprachkenntnisse.“ Herausforderungen, denen ein einzelner Lehrer in seinem Unterricht nicht gerecht werden kann. „Das kann niemand leisten“, so die Lehrerin. Resultat: Lehrer seien überfordert, bei einigen sinke die Motivation, der Ton im Kollegium werde rauer. „Wer selbst kaum noch Kraft hat, kann niemanden mehr unterstützen.“ Dazu käme immer mehr Bürokratie, nach Meinung R.s völlig sinnlos: „Wir führen über unsere Klassen Listen und füllen damit Ordner, die anschließend im Archiv einstauben.“ R.s Fazit: „Wir strampeln alle schon am Limit, mehr geht nicht.“

"Lösungen kosten Geld"

Morgens vor Unterrichtsbeginn an einer Grundschule im Landkreis Stade. „Na, du Ficker“, begrüßt Merlin* einen Mitschüler. „Halt‘s Maul, du Opfer“, bekommt er zur Antwort. Beide Jungs sind noch keine zehn Jahre alt - und ihre derben Begrüßungsfloskeln tägliches Ritual. Die soziale Verrohung unter Kindern habe deutlich zugenommen, stellt Grundschullehrerin Tanja R.* fest. „Das Vokabular ist schlimm. Bei Konflikten werden die Schüler sehr schnell aggressiv und gewalttätig.“
Gespräche mit den Eltern dieser Kinder tragen selten Früchte, weiß Tanja R. aus Erfahrung. „Einige erscheinen nicht mal zur vereinbarten Sprechstunde oder sagen kurz davor ab. Andere wiederum wollen nicht wahrhaben, dass sich ihr Kind in der Schule ganz anders verhält als zu Hause. Da wird die Schuld sofort bei anderen gesucht.“

Zusätzlich gebe es Klassen mit Schülern unterschiedlichster Leistungsfähigkeit: Kinder mit normalem und erhöhtem Lernbedarf, mit erhöhtem Aufmerksamkeitsbedarf und Flüchtlingskinder ohne Deutschkenntnisse, erklärt Tanja R. Alle unter einen Hut zu bekommen, sei für einen einzelnen Lehrer schlichtweg unmöglich.

Es müsse dringend etwas geschehen, so Tanja R. Geld müsse jetzt in die Hand genommen werden und nicht später. „Wenn Schüler in der Grundschule etwas nicht gelernt haben, wird es immer schwieriger, ihnen das an weiterführenden Schulen beizubringen.“ Mit zunehmendem Alter der Schüler erhöhe sich der Aufwand, ist Tanja R. überzeugt - und damit letztlich die Kosten.

Die Sanierung des Schulgebäudes ist für die engagierte Lehrkraft ebenfalls ein großes Thema. Inklusion gehöre zwar inzwischen zum Alltag und sei gesetzlich verordnet, doch wie an vielen anderen Schulen auch sei es nicht hundertprozentig umsetzbar. „Ein Rollstuhlfahrer z. B. scheitert bereits an den Gebäudetüren, die sich nur nach außen öffnen lassen“, bemängelt Tanja R. Außerdem fehlten Rückzugsmöglichkeiten, für Schüler und für Lehrer. „Wir platzen aus allen Nähten. Unser Lehrerzimmer beispielsweise ist so klein, dass es nicht mal für jeden einen Sitzplatz gibt, wenn viele Lehrer gleichzeitig anwesend sind.“

Widrige Umstände, die den Berufsalltag erschweren, dazu zunehmend bürokratischer Aufwand durch das Schreiben von Berichten und Listen, die anschließend in der Schublade verschwänden.
Die Schilderungen der Grundschullehrerin sind kein Einzelfall, sondern steht für ähnliche Erfahrungen anderer betroffener Lehrer aus den Landkreisen Stade und Harburg, mit denen das WOCHENBLATT gesprochen hat.

Tanja R.: „Mitunter pfeifen wir Lehrer auf dem letzten Loch.“ Sie fügt hinzu: „Aber ich liebe meinen Job.“ Darum versucht sie, Lösungen zu finden. Einen Vorschlag hat sie: „Wir bräuchten Zweier-Teams für unseren Unterricht für ein sogenanntes Teamteaching.“ Diese Methode, bei der eine Lehrkraft die Klasse im Auge behält, während die andere in Ruhe unterrichtet, gebe es bereits an Hamburger Schulen. „Dann wären wir nicht allein auf dieser ,Riesenbaustelle‘“, sagt sie.

„Multiprofessionelle Teams gibt es nur im Bereich der inklusiven Beschulung“, informiert Bianca Schöneich, Pressesprecherin der Niedersächsischen Landesschulbehörde. Sofern entsprechende Lehrerstunden zur Verfügung stünden, könne jede Schulleitung in Absprache mit den Lehrern selbst regeln, ob der Unterricht von zwei Lehrkräften gestaltet werden kann. Ein Projekt in Richtung „Teamteaching“ mit den entsprechenden Fördertöpfen sei in Niedersachsen jedoch nicht vorgesehen.

• Sind Sie eine betroffene Lehrerin oder betroffener Lehrer oder kennen Sie ähnliche Fälle? Dann schreiben Sie eine E-Mail an ab@kreiszeitung.net.

* Namen v. d. Redaktion geändert

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Immer häufiger tragen Grundschüler ihre Konflikte mit Gewalt aus | Foto: Fotolia/pololia
Redakteur:

Alexandra Bisping

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