Diskussion um die Ostmarkstraße in Stade geht weiter
Der belastete Begriff

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jd. Stade. In der Stader Politik wird weiter über die Umbenennung der Ostmarkstraße diskutiert. Auslöser ist der Antrag der CDU-Fraktion, der Straße einen neuen Namen zu geben. Damit soll ein Zeichen gesetzt werden, dass "nationalsozialistisches und rechtes Gedankengut in unserer Stadt keinen Platz hat", so die Begründung (das WOCHENBLATT berichtete). Die SPD hält jetzt mit einem eigenen Antrag dagegen. Und auch die Grünen melden sich zu Wort: Vorstandsmitglied Robert Gahde hat ein Papier erarbeitet, in dem er sich mit dem Begriff Ostmark auseinandersetzt.

"Es ist doch völlig eindeutig, dass die Namensgebung Ostmarkstraße im Zusammenhang mit der Annexion Österreichs erfolgt ist", sagt CDU-Fraktionschefin Kristina Kilian-Klinge. Der Begriff Ostmark sei von den Nazis instrumentalisiert worden, um Österreich als Bestandteil des Deutschen Reiches zu vereinnahmen. Gerade in diesen Zeiten sei es wichtig, gegen rechtes Gedankengut vorzugehen und solche Begriffe zu tilgen.

"Die Benennung Ostmarkstraße bleibt unangetastet", heißt es hingegen im Antrag der SPD. Man könnte mit einer Infotafel oder einem Gedenkstein auf "die missbräuchliche Benutzung dieser Gebietsbezeichnung seitens der NS-Diktatur" hinweisen, so der SPD-Fraktionsvorsitzende Kai Holm. Er möchte aber nichts ohne die Zustimmung der Anwohner unternehmen.

Diese haben bereits Widerstand gegen die Umbenennung angekündigt und eine Unterschriftenaktion gestartet. Offenbar dürfen sie auf Unterstützung der SPD zählen, denn Holm macht deutlich: "Eine Namensänderung gegen den erklärten Willen der betroffenen Anlieger ist für uns nicht nachvollziehbar" und entspreche nicht dem Verständnis der SPD "von bürgernaher Politik".

Im Sinne einer Erinnerungskultur sei es nicht sinnvoll, "kritische Aspekte der geschichtlichen Vergangenheit einfach auszulöschen", so Holm. Er macht den Vorschlag, eine Arbeitsgruppe mit dem Entwurf eines "würdigen" Textes zu beauftragen. Darin soll auch der geschichtliche Begriff Ostmark erläutert werden.
Das dürfte nicht leicht werden. Denn das Wort Ostmark ist historisch schwer fassbar und lässt Spielraum für Interpretationen zu. So bringen die Anwohner der Straße Karl den Großen in Spiel. Dieser habe ein Grenzgebiet im Osten seines Reiches als Ostmark bezeichnet. "Geschichte ist Fakt, unumstößlich, und Karl der Große hat definitiv die Ostmark erfunden", heißt es in einem Facebook-Post mit dem Grundtenor: Wozu also die ganze Aufregung?

Mit dieser Argumentation setzt sich Robert Gahde von den Grünen auseinander. "Das mittelalterlich anmutende Wort 'Ostmark' ist erstaunlich jung", schreibt Gahde in seinem "Diskussionsbeitrag". Er geht der Frage nach, wann das Wort erstmals auftauchte. Das sei erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts geschehen, als in Deutschland allmählich ein Nationalbewusstsein aufkeimte - und zwar zunächst als Übersetzung der in den lateinischen Quellen des Mittelalters verwendeten Bezeichnung "marcha orientalis" für ein Grenzgebiet im Osten des Karolingerreiches.

Im späteren deutschen Kaiserreich der Hohenzollern sei "Ostmark" zum politischen Schlagwort im Sinne einer völkisch-nationalistischen Geisteshaltung geworden, so Gahde. Dahinter stehe die Vorstellung von den östlichen Grenzlanden als „Bollwerk“ zur Abwehr der slawischen Nachbarvölker.

"In dieser Tradition wurde der Begriff Ostmark 1938 von den Nazis als neue Bezeichnung für das bisherige Österreich eingeführt" erläutert Gahde. Für ihn steht fest, dass "der Straßenname bis heute nationalsozialistische Propagandasprache tradiert und sie verharmlost". Außerdem habe der Begriff "eine nationalistische, antislawische Tendenz". Für Österreich sei der Straßenname entwürdigend, so Gahde.
Tatsächlich wird die lateinische Bezeichnung "marcha orientalis" in Österreich meist mit "Mark im Osten" oder "östliche Mark" übersetzt. Der Begriff Ostmark ist dort tabu, weil er als Nazi-Ausdruck gilt: Die Bezeichnung habe "durch den Sprachgebrauch der Nationalsozialisten einen widerwärtigen Beigeschmack bekommen", schreibt die Wiener Zeitung.

Für Gahde jedenfalls ist der Verweis auf Karl den Großen absurd, die CDU-Fraktionschefin Kilian-Klinge bezeichnet ihn als inakzeptabel: "Man kann jetzt nicht mit einer anderen Deutung kommen, um den Straßennamen zu legitimieren." Anlass für die Namensgebung Ostmarkstraße sei 1938 nun einmal die Besetzung Österreichs gewesen. "Das ist entscheidend für unseren Antrag auf eine Umbenennung der Straße."

Ein Vorschlag: "Europastraße"
Für Robert Gahde steht die Erfordernis einer Umbenennung der Ostmarkstraße außer Frage. Der Straßenname sei mit Stades Image als moderne, weltoffene Stadt, die für die europäische Einigung eintrete, in keiner Weise vereinbar.
"Der Begriff 'Ostmark' gehört zum nationalsozialistischen Vokabular", so Gahde: "Heute sollte man das Verbindende betonen. 'Europastraße' wäre ein passender neuer Name."

Gahdes Diskussionsbeitrag findet sich auf der Homepage der Stader Grünen.

KOMMENTAR

Bei der Debatte um die Ostmarkstraße sollte jemand die Anwohner davor warnen, sich auf den Holzweg zu begeben. Sich auf eine "Ostmark" Karls des Großen zu berufen, um so das heikle Thema NS-Zeit zu umzuschiffen, wird der Sache nicht gerecht. Wer von historischen Fakten spricht, muss auch anerkennen, dass die Vergabe des Straßennamens durch die Nazis im Zuge des völkerrechtswidrigen Annexion Österreichs nun einmal Fakt ist. Die Ostmarkstraße trägt nur deswegen ihren Namen - und daran gibt es nichts zu deuteln.
Der Verweis auf Karl den Großen zur Rechtfertigung dieses von Nazis gewählten Straßennamens - wie dies etwa in Münster geschehen ist - ist jedenfalls aus dem historischen Zusammenhang gerissen und wäre nichts anderes als ein Etikettenschwindel.
Soll eine ehrliche Diskussion geführt werden, muss es Konsens sein, dass der Straßenname letztlich auf die aggressive Expansionspolitik Hitlers zurückgeht. Die Nazis greifen dabei auf eine begriffliche Tradition zurück, die aus dem 19. Jahrhundert herrührt. Erst damals, im Zuge des entstehenden Nationalismus, wurde der Begriff Ostmark populär.
Daraus ergibt sich wiederum die Frage: Was soll denn überhaupt auf einer Erläuterungstafel oder einem Gedenkstein stehen? Etwa die Erklärung, dass der Straßenname im Zusammenhang mit der zwangsweisen Eingliederung Österreichs steht - und man ihn trotzdem beibehält? Wie soll solch eine Aussage ernsthaft zu vermitteln sein?
Der einzig ehrliche Weg wäre eine Umbenennung. Bei aller Betroffenheit der Anwohner: Eine Umbenennung wäre eine politische Entscheidung - und die haben nun einmal die durch demokratische Wahlen legitimierten Volksvertreter zu treffen.
Jörg Dammann

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