Stolpersteine verlegt
Mahnmale gegen Hass, Hetze und Gewalt

Die Initiatoren der Tostedter Stolperstein-Verlegung Adolf Staack, Katrin Kludas (v. re.) und Manfred Falke (2. v. li.) mit Bürgermeister Gerhard Netzel (li.) und Samtgemeinde-Bürgermeister Dr. Peter Dörsam | Foto: bim
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  • Die Initiatoren der Tostedter Stolperstein-Verlegung Adolf Staack, Katrin Kludas (v. re.) und Manfred Falke (2. v. li.) mit Bürgermeister Gerhard Netzel (li.) und Samtgemeinde-Bürgermeister Dr. Peter Dörsam
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bim. Tostedt. Unter den Nationalsozialisten wurden sie hingerichtet oder starben unter grausamen Umständen in Konzentrationslagern, weil sie Juden oder homosexuell waren, das Wort gegen die Ungerechtigkeit des Regimes erhoben oder als Ausländer eine sexuelle Beziehung zu einer Deutschen hatten. An sechs dieser Menschen erinnern nun sechs Stolpersteine, die in Heidenau und Tostedt verlegt wurden.
Initiiert wurden die Stolpersteine von Archivarin Katrin Kludas sowie von Manfred Falke und Adolf Staack. Die Bedeutung der im Boden verlegten Gedenktafeln aus Messing untersteicht auch die Unterstützung von Tostedts Samtgemeinde-Bürgermeister Dr. Peter Dörsam sowie von den Bürgermeistern Reinhard Riepshoff (Heidenau) und Gerhard Netzel (Tostedt). Beide Gemeinden haben sich auch finanziell beteiligt.
Warum niemals wieder
weggeschaut werden darf

"Wer die Vergangenheit vergisst, ist verurteilt, sie zu wiederholen, oder: warum niemals wieder weggeschaut werden darf!" Mit diesem Zitat des Philosophen George Santayana in einer Baracke im Konzentrationslager Auschwitz eröffnete Tostedts Bürgermeister Gerhard Netzel das Gedenken an die unter dem NS-Regime getöteten Menschen. An sechs dieser Schicksale wird nun mit Stolpersteinen in Heidenau und Tostedt erinnert.
Gefährliche Entwicklungen
in Deutschland und Europa

Netzel machte deutlich, wie akut und gefährlich Entwicklungen in Deutschland und Europa wieder sind. "Hanau, Halle, Pegida, Hass und Gewalt, Menschen versammeln sich zu Tausenden, um mit menschenverachtenden Parolen ihren Gedanken Ausdruck zu verleihen. Politiker und andere Wortführer schüren den Hass mit Nazirhetorik. Ihre Anhänger schrecken nicht davor zurück, ihre Mitmenschen aufgrund ihrer Herkunft zu erniedrigen, zu verletzen. Sie haben nichts aus der Geschichte gelernt! Dass es soweit gekommen ist, ist nicht das alleinige Versagen der Politik, sondern ein gesamtgesellschaftliches Versagen", betonte Netzel. "Es darf nicht wieder passieren, dass Menschen aufgrund ihrer Religion, ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihres Anderssein in Deutschland, Europa und der Welt Angst und Gefahren ausgesetzt und verfolgt werden!"
Gedenktafel vor der
Bücherei im Rathaus

Samtgemeinde-Bürgermeister Dr. Peter Dörsam erinnerte an Boleslaw Marzec und damit an die Schicksale der 200.000 polnischen Zwangsarbeiter. Seine Mutter Renate Dörsam hatte 2006 Geld gesammelt für eine Gedenktafel, die vor der Bücherei im Rathaus an dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte erinnert.

Über die NS-Opfer, denen die Stolpersteine gewidmet sind:

• Heidenau, Hollenstedter Str. 6: Wilhelm Bellmann (geb. 25. Dezember 1888 in Avensen, wohnhaft Heidenau Nr. 10 / jetzt Hollenstedter Straße 6), verhaftet im September 1939 wegen "kritischer Äußerungen", gestorben am 10. Februar 1940 im KZ Sachsenhausen. Die Äußerung gegenüber seinem Nachbarn Brunkhorst, dass der Krieg nicht zu gewinnen sei, wurde ihm zum Verhängnis.
Willi Bellmann heiratete am 25.04.1912 Marie Peters aus Trelde (*28.04.1884 in Trelde, gest. 28.09.1935 in Heidenau). Aus der Sterbeurkunde des Standesamtes Oranienburg geht hervor, dass sein Vater Johann Bellmann war, der ebenfalls in Heidenau wohnte. Seine Mutter sei unbekannt. Willi Bellmann muss eine besondere Rolle in Heidenau gespielt haben: So hat er mehrere landwirtschaftliche Fachschulen besucht und war mehrfach im Ausland unterwegs. Zu einer Kur soll er sich in Italien aufgehalten haben. Zudem hatte er den ersten Traktor im Dorf, ein Auto, eine Schrotmühle, Telefon und ein Grammophon. Er legte Versuchsfelder und einen Landschaftspark („Luna-Park“) an. Häufig fuhr er mit der Kutsche umher, ohne auf dem Hof zu arbeiten. Wegen seines Auftretens und seiner oft noblen Kleidung wurde er „Prinz Bellmann“ genannt. Sein Hof wurde unter Zwangsverwaltung gestellt. Jahrelang lieferte er sich erbitterte Auseinandersetzungen mit der Justiz, vor allem mit dem Tostedter Amtsgerichtsdirektor Buurman. Eine etwa 400 Seiten umfassende Akte zeugt von diesen Vorgängen. Bereits vom 5. März bis 24. Dezember 1936 war er in Hannover (Leonhardstraße 1) schon einmal inhaftiert. Vermutlich war er den Heidenauern ein Dorn im Auge. So wurde ihm die Äußerung gegenüber seinem Nachbarn Brunkhorst, dass der Krieg nicht zu gewinnen sei, zum Verhängnis. Der Nachbar meldete dies dem Dorfpolizisten Pienka, der wiederum die Gestapo in Lüneburg informierte. Willi Bellmann wurde von SS-Männern abgeholt und am 11. September 1939 (!) in das KZ Sachsenhausen als Schutzhäftling eingeliefert. Am 31. Oktober 1939 brachte man ihn morgens um 4.15 Uhr in das Ger. Gef. Berlin-Lichterfelde und am gleichen Tag zurück. Hier verstarb er am 10. Februar 1940 an Lungentuberkulose.
Per Post erhielt seine Familie seine Urne. Die Beisetzung erfolgte auf dem Heidenauer Friedhof. Ein unvollständig hergestellter Grabstein liegt bis heute auf dem Grundstück der Familie Cohrs.

• Heidenau, Ecke Hauptstraße / Poststraße (hinter dem Findling): Hier wurde der polnische Zwangsarbeiter Boleslaw Zimakowski, Jahrgang 1909, nach einem Konflikt mit seinem Dienstherrn am 27. Oktober 1942 öffentlich gehängt.
Als Fremd-, Ost- oder Zwangsarbeiter war er in Heidenau beschäftigt. Wegen eines Konfliktes mit dem Hofinhaber zum Tode verurteilt und am 27. Oktober 1942 in Lohmanns Föhrenkamp links am Weg nach Hollinde gehängt. Weitere polnische Zwangsarbeiter mussten bei der Hinrichtung anwesend sein, um ein Exempel zu statuieren.

• Tostedt, Unter den Linden 39: Hier wohnte Selma Blumann, Jahrgang 1882. Nach den bekannten Unterlagen war sie ledig und ohne Beruf. Mit einem „Alterstransport“ wurde sie am 06.08.1942 nach Theresienstadt gebracht.

• Tostedt, Poststraße 1: Hier wohnte der Kaufmann Friedrich Meyer, Jahrgang 1892. Seit 1937 mehrmals wegen seiner Homosexualität verhaftet und verurteilt. Er starb am 11. August 1941 im KZ Sachsenhausen.
Der Kaufmann Friedrich Meyer wurde wegen seiner Homosexualität am 3. April 1937 in das KZ/Polizeigefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel eingeliefert und am 15. Juli 1937 wieder entlassen. Für das Jahr 1938 sind weitere Inhaftierungen im KZ Fuhlsbüttel vom 14. bis zum 28. Februar, vom 19. bis zum 22. April und vom 16. bis zum 24. Juni belegt.
Eine erneute Einlieferung zur U-Haft im KZ Fuhlsbüttel erfolgte am 16. März 1939. Am 26. April 1939 wurde er zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und sechs Monaten wegen „widernatürlicher Unzucht“ verurteilt. Davon wurden 48 Tage, 20 Stunden und 30 Minuten wegen der vorangegangenen U-Haft abgezogen.
Von Fuhlsbüttel aus wurde er am 3 Juni 1939 zur weiteren Strafverfolgung in das Strafgefangenenlager Rodgau, Lager II, in Oberroden bei Darmstadt überführt, wo er Schwerstarbeit leisten musste. Vom 11. November bis zum 2. Dezember 1939 war er aus der Haft beurlaubt. Vorübergehend befand er sich 1940 im Außenlager Schlitz in Hessen. Am 28. September 1940 wurde er aus der Haft entlassen und wahrscheinlich im November 1940 in das KZ Sachsenhausen eingeliefert. Hier erhielt er die Häftlingsnummer 34552. Wegen einer Erkrankung kam er am 3. Juli 1941 in das Häftlingskrankenrevier, in das er erneut am 10. August 1941 verlegt wurde. Hier starb er am 11. August 1941. Als Todesursache wurde Herz- und Kreislaufinsuffizienz wegen einer doppelseitigen Lungentuberkolose festgestellt.

• Tostedt, Bahnhofstraße 35: Hier wohnte Rosette Dörnbrack, geb. Blumann, Jahrgang 1883. Wie ihre Söhne musste sie nie einen „Judenstern“ tragen. Dennoch sollte sie am 23. Februar 1945 deportiert werden. Der Tostedter Arzt Dr. Pieper schrieb sie transportunfähig und rettete ihr so vermutlich das Leben. Sie starb im Mai 1966 in Rotenburg.

• Tostedt, Schützenstraße 24 (Rathaus): Hier wurde dem polnischen Zwangsarbeiter Boleslaw Marzec, Jahrgang 1916, gedacht. Er wurde wegen "verbotenem Umgang", weil er ein intimes Verhältnis mit einer 18-jährigen deutschen Landhelferin hatte, in der Todtglüsinger Heide gehängt.
Boleslaw Marzec war bei einem Landwirt in Heidenau beschäftigt. Im Juni 1940 wurde er beobachtet, wie er sich mit einer 18-jährigen deutschen Landhelferin in einer Kammer traf. Ihnen wurde vorgeworfen, miteinander Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, sie seien durch ein Fenster gesehen worden. Marzec wurde verhaftet und am Mittag des 5. Dezember 1940 in der Todtglüsinger Heide u.a. in Anwesenheit von Oberregierungsrat Dr. Hoffmann, dem Leiter der Gestapo-Dienststelle in Lüneburg, erhängt - „auf Befehl des Reichsführers SS und Chef der Deutschen Polizei“, wie auf der Sterbeurkunde vermerkt ist. Der Tostedter Gendarmeriemeister wurde zum Marinedepot Todtglüsinger Heide beordert und erfuhr erst jetzt, warum er dort hatte hinkommen müssen, dass er nämlich „die Sicherheit bei der Erhängung des Polen Marzec übernehmen sollte.“
An einem Baum hing ein Strick mit einer Schlinge. Darunter waren zwei Schemel aufgestellt. Dem Marzec wurde das Urteil verkündet und ins Polnische übersetzt. Danach mussten zwei Polen, die von Lüneburg mitgebracht worden waren, Marzec die Schlinge um den Hals legen und den Schemel wegziehen - man machte sich die Hände nicht selber schmutzig. Die beiden bekamen jeweils drei Zigaretten als Belohnung. „Als Marzec noch in der Schlinge hing, wurden die hier im Marinebaulager arbeitenden 75 Polen herangeführt und wurde ihnen auch noch einmal das Urteil bekannt gegeben und wurden sie an Hand des Falles auch verwarnt.“ (Schreiben des Gendarmeriemeisters vom 7. Dezember 1940).

Alle Texte zu "Stolpersteine Tostedt“
Redakteur:

Bianca Marquardt aus Tostedt

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