"Hate Speech gibt es auch im Bundestag"
Hass und Diskriminierung im Netz haben dramatische Folgen - für die Betroffenen und die Gesellschaft

Referentin Fluky (re.) im Gespräch mit Matthias Haist vom Medienzentrum und
Redakteurin Anke Settekorn Foto: Medienzentrum
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(as). Hetze und Diskriminierung finden immer mehr Verbreitung in sozialen Netzwerken. Hass wird digital in Form von Kommentaren, Beiträgen, Memes oder Videos geteilt. Laut einer forsa-Studie der Landesanstalt für Medien NRW hat die überwiegende Mehrheit der befragten Internetnutzer Hasskommentare im Internet gesehen.

Das Medienzentrum des Landkreises Harburg hat jüngst einen Workshop zum Thema "Hate Speech" veranstaltet. Referentin Fluky* arbeitet für die Amadeu Antonio Stiftung (siehe Kasten) und klärt u.a. über Hass im Netz auf, im Online-Interview mit dem WOCHENBLATT erklärt sie, was "Hate Speech" überhaupt ist und wie man sich wehren kann.

WOCHENBLATT: Was ist Hate Speech?
Fluky: Als Hate Speech bezeichnet man sprachliche Angriffe auf Menschen und Aufrufe zu Hass und Gewalt, z.B. rassistische, antisemitische oder sexistische Kommentare, Homophobie. Abwertende, menschenverachtende und volksverhetzende Inhalte. Hate Speech basiert auf einer vorurteilsbasierten Haltung und findet immer in einer gewissen Öffentlichkeit statt, zum Beispiel in den Kommentarspalten sozialer Netzwerke. Nicht jede Beschimpfung ist Hate Speech, Hate Speech kann im Gegenteil auch sehr höflich daher kommen. Beispiele für Hate Speech sind zum Beispiel Aussagen wie "Ausländer machen das deutsche Bildungssystem kaputt" oder "Homosexualität ist eine Todsünde". In unseren Workshops wurde uns zum Beispiel von einem Hakenkreuz-Meme berichtet, das per WhatsApp in Jugendgruppen geteilt wird. Auch das ist Hate Speech.

WOCHENBLATT: Wer ist von Hate Speech betroffen?
Fluky: Betroffen sind Frauen, Personen, die als ausländisch markiert werden, Geflüchtete, Juden, Muslime - allgemein Personengruppen, die sowieso marginalisiert sind. Die eine Abwertung erfahren, zum Beispiel wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Herkunft oder ihres Körpers.

WOCHENBLATT: Wo tritt Hate Speech auf?
Fluky: Hate Speech tritt vor allem - aber nicht nur - im Internet und Social Media auf. Hate Speech wird meist im Zusammenhang mit Online-Medien untersucht, zum Offline-Geschehen gibt es keine Zahlen. Da Jugendliche mehr online sind als Erwachsene, sind sie auch mehr von Hate Speech im Netz betroffen. Social Media ist nicht per se schlecht, aber die Instrumentalisierung ist gefährlich.

WOCHENBLATT: Wer verwendet Hate Speech?
Fluky: Hate Speech zieht sich durch alle Bevölkerungsgruppen, selbst im Bundestag wird Hate Speech praktiziert.
Vorurteile sind keine Frage des Alters. Hate Speech kann aus Gedankenlosigkeit entstehen, wird jedoch auch bewusst von ideologisch gefestigten Personen eingesetzt. Diese sind oft rhetorisch gut geschult und verwenden Formulierungen ganz geschickt, bewusst höflich. Hate Speech ist eine Strategie der Netzpolitik. Es wird versucht, den vorpolitischen Raum zu besetzen. Diese Strategie wird ganz oft nicht erkannt, das ist das eigentliche Problem.

WOCHENBLATT: Woran kann man Hate Speech erkennen?
Fluky: Hate Speech kann sehr subtil daherkommen. Es gibt Hate Speech, die auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist. Zum Beispiel beim sogenannten "Dogwhistling": Es werden Begriffe gewählt, die zunächst harmlos wirken, bei denen man den Kontext kennen muss, um das zu verstehen. Zum Beispiel ist "Strippenzieher" antisemitisch konnotiert, "Goldjungs" richtet sich gegen Geflüchtete. Diskussionsstrategien wie diese muss man erst mal erkennen.

WOCHENBLATT: Corona, Verschwörungstheorien und Hate Speech - wie wirkt das zusammen?
Fluky: Zum einen fungieren Verschwörungstheorien oft als Türöffner für rechtsextreme Ideologien. Viele Verschwörungstheorien münden in den Antisemitismus. Zum anderen werden Themen oft von Rechtsextremisten instrumentalisiert. Das kann lokal sein, z.B. Bürgerinitiativen, das können auch zeitgeschichtliche Themen sein, z.B. Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen. Das langfristige Ziel dieser Strategien ist die Abschaffung der Demokratie. Hate Speech wird oft als Wegbereiter für Verschwörungstheorien gebraucht. Die Grenze des Sagbaren immer erweitern, das schafft Boden für mehr und führt zum Beispiel zu Nichteinschreitung bei Gewalt, weil man sich nicht mehr traut.

WOCHENBLATT: Wieso ist Hate Speech problematisch?
Fluky: Die Folgen von Hate Speech, Cyber-Mobbing etc. sind dramatisch: Frust, Depressionen, sozialer Rückzug bis hin zu körperlichen Beschwerden. Hate Speech ist Gewalt! Das sollte nicht bagatellisiert und normalisiert werden.
Hate Speech ist nicht nur für die betroffenen Individuen problematisch, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene. Denn die betroffenen Personen ziehen sich zurück. Damit wird die Meinungsvielfalt eingeschränkt. Einer Studie zufolge beteiligt sich jede zweite Person wegen Hate Speech weniger an Diskussionen im Netz. Die Besetzung des vorpolitischen Raumes - der sozialen Medien - ist eine rechtsextreme Strategie. Der neurechte Verleger Götz Kubitschek hat bereits 2006 geschrieben: 'Unser Ziel ist nicht die Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende als Konsensform, nicht ein Mitreden, sondern eine andere Sprache, nicht der Stehplatz im Salon, sondern die Beendigung der Party'. Eine weitere Strategie ist, gezielt positive Inhalte zu zerstören, zum Beispiel, indem Shitstorms organisiert werden. Die Folgen für die Opfer sind erheblich. Aber man muss da nicht allein durch!

WOCHENBLATT: Was kann man tun, wenn man selbst Opfer von Hate Speech wird?
Fluky: Wenn man das Gefühl hat, dass man es mit Hate Speech zu tun hat, sollte man den Beitrag gut dokumentieren: ein Screen-shot, auf dem man Datum und Uhrzeit des Kommentars erkennen kann. Man sollte die Netzwerkbetreiber informieren, den Beitrag melden, damit dieser stummgeschaltet wird. Gegebenenfalls kann man den Beitrag bei der Online-Wache anzeigen (www.onlinewache.polizei.niedersachsen.de) oder anonym über www.hassmelden.de. Es gibt kein getrenntes online- und offline-Recht. Es gibt auch keinen Hate-Speech-Paragraphen. Aber man kann zum Beispiel Volksverhetzung, Verleumdung, Beleidigung oder einen Aufruf zu Straftaten rechtlich verfolgen.

WOCHENBLATT: Wie kann man Hate Speech entgegenwirken?
Fluky: Nicht jeder Fall von Hate Speech ist strafrechtlich relevant.
Aber man kann Zivilcourage zeigen, einschreiten, wenn diskriminierende Äußerungen getätigt werden. Man kann zum Beispiel entgegnen: Ja, das kannst du zwar sagen, das entspricht aber nicht den Menschenrechten. Bist du gegen Menschenrechte? Das hat auch Einfluss auf die Umstehenden oder Mitleser: Wenn einer anfängt, gesellen sich mehr dazu. Demokratie ist eine Mitmachbeschäftigung. Und man kann selbst etwas menschenrechtsbasiertes/Freundliches posten.
Man sollte sich auch selbst fragen: Welche Artikel teile ich online? Lieber positive Artikel erstellen statt Aufreger. Eigene Wünsche, Utopien und Narrative. Konstruktiv und menschenrechtsbasiert. Man kann den Algorithmus der sozialen Netzwerke auch positiv beeinflussen: Auf Facebook andere konstruktive Kommentare liken, einen Kommentar druntersetzen: Ich sehe das genauso. Das hilft, positive Kommentare nach oben zu bringen.

* Die Referentin für politische Bildung tritt nur unter dem Namen "Fluky" auf.

Gemeinsam gegen Hate Speech

https://hateaid.org: HateAid bietet Betroffenen digitaler Gewalt ein kostenloses Beratungsangebot und Prozesskostenfinanzierung. Menschen, die online Hass und Hetze erleben, die beleidigt, verleumdet oder bedroht werden, können hier Hilfe erhalten.

https://no-hate-speech.de: Die Europarat Initiative No Hate Speech Movement informiert über Hate speech und bietet konkrete Hilfe beim Umgang mit Hass im Netz.

https://hassmelden.de: Die zentrale Meldestelle für Hatespeech unterstützt Betroffene. Jeder (anonym) gemeldete Fall von Hate Speech wird geprüft und Inhalte, die strafrechtlich relevant sind, bei den zuständigen Ermittlungsbehörden unverzüglich angezeigt. Auch per App sowie per Telegram oder Twitter möglich.

www.fairsprechen.net: Das Projekt „Fairsprechen – Hass im Netz begegnen“ informiert, berät und stärkt rund um das Thema Hass im Netz.

https://love-storm.de: Die Plattform für Zivilcourage im Internet vermittelt in kostenlosen Online-Trainings Grundsätze der Gegenrede.

www.amadeu-antonio-stiftung.de: Die Amadeu Antonio Stiftung hat das Ziel, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet. Sie informiert auch über Hate Speech.

www.schau-hin.info, www.klicksafe.de: Die Initiativen „SCHAU HIN! Was Dein Kind mit Medien macht.“ und "Klicksafe" helfen Eltern und Pädagogen bei der Medienerziehung und klären u.a. über Hate Speech auf. Infos gibt es auch unter www.hass-im-netz.info.

Redakteur:

Anke Settekorn aus Jesteburg

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