30 Jahre Mauerfall
"Die Mauer in den Köpfen ist nicht abgetragen": Friedrich Meyer hat in beiden Teilen Deutschlands als Lehrer gearbeitet

Nach der Maueröffnung kehrten sie an die ehemalige Grenze zurück: Birgit und Friedrich Meyer im Jahr 1990 beim "Europatreffen" im niedersächsischen Örtchen Zicherie (Landkreis Gifhorn)  | Foto: Meyer
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  • Nach der Maueröffnung kehrten sie an die ehemalige Grenze zurück: Birgit und Friedrich Meyer im Jahr 1990 beim "Europatreffen" im niedersächsischen Örtchen Zicherie (Landkreis Gifhorn)
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os. Klecken. "Es wächst zwar zusammen, was zusammengehört, aber es wird viel zu wenig dafür getan. Die Mauer in den Köpfen ist noch nicht abgetragen, vielmehr scheint sie wieder zu wachsen." Dieses Fazit zieht Friedrich Meyer (75) zum 30. Jahrestag des Mauerfalls, der den Anfang vom Ende der DDR markierte und den Weg zur deutschen Einheit im Oktober 1990 ebnete. Meyer, der als Pensionär in Klecken (Landkreis Harburg) lebt, hat in seinem Leben in der DDR und später in der Bundesrepublik so viel erlebt, dass es mehrere Bücher füllen würde. "Was wir erlebt haben, lebt in uns weiter", sagt er.
Friedrich Meyer wurde in Sachsen-Anhalt geboren. Seinen Vater lernte er nie kennen, seine Mutter starb, als er sieben Jahre alt war. So wuchs er bei seiner Tante auf. Seinen Berufswunsch als Sportlehrer konnte er zunächst nicht umsetzen, weil der Staat andere Pläne hatte. So ging Meyer nach der achten Klasse von der Schule ab und lernte in Magdeburg Maurer. Erst später bekam Friedrich Meyer doch noch die Möglichkeit, das Abitur in Potsdam nachzuholen und Lehrer für Sport und Deutsch zu werden. Aus dieser Zeit stammt die Fähigkeit von Meyer, für jede Lebenslage ein Gedicht zu finden und aufzusagen.
1967 heirateten Friedrich und Birgit Meyer, in Salzwedel (Sachsen-Anhalt) wurde das Paar sesshaft und bekam später zwei Kinder. Zwischendurch wurde Meyer eingezogen und leistete in der Nationalen Volksarmee seinen "Ehrendienst" an der deutsch-deutschen Grenze ab. "Das war die schwerste Zeit meines Lebens", blickt Meyer zurück.
Nach dem Wehrdienst kehrte Meyer an die Schule zurück. 21 Jahre lang unterrichtete er Sport und Deutsch, teilweise an der Erweiterten Oberschule (EOS), der höchsten Schule im DDR-Bildungssystem. Die Probleme für Familie Meyer begannen, als der Wunsch immer größer wurde, Kontakt mit Birgit Meyers Mutter aufzunehmen, die früh aus der DDR in den Westen geflüchtet war und in Hamburg lebte. "Gerade unsere Kinder wollten gerne die Großmutter kennenlernen", erinnert sich Birgit Meyer. Die Folge war, dass das Ehepaar Meyer ins Visier der Staatssicherheit geriet: "Wir wurden regelrecht tyrannisiert." Er solle sich von den Westkontakten "trennen", wurde Meyer aufgetragen. "Man wollte mich bekehren, das habe ich aber nicht mit mir machen lassen", so Meyer. Die Folgen waren gravierend: Die ganze Familie erhielt Berufsverbot, der Sohn verlor seinen Studienplatz. "Wir hatten Glück, dass wir als Hilfsarbeiter bei einem Elektriker und einem Tischler untergekommen sind", betont Friedrich Meyer. Im August 1988 stellte die Familie offiziell einen Ausreiseantrag wegen Familienzusammenführung. Seitdem bekamen die Meyers kaum noch einen Fuß auf den Boden.
Im August 1989 flüchtete die Familie in die ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin - zusammen mit 117 weiteren Ausreisewilligen. Das war just zu der Zeit, als zahlreiche DDR-Bürger Zuflucht in der Botschaft in Prag suchten und Bilder produzierten, die um die Welt gingen. Nach fünf Wochen in der Vertretung in Ost-Berlin wurden die DDR-Bürger von prominenten Politikern gebeten, in ihre Wohnorte zurückzukehren, um die Verhandlungsposition für die Flüchtlinge in Prag zu verbessern. "Man versprach uns, dass uns keine Verfolgung drohe", erinnert sich Birgit Meyer. Tatsächlich lebten die Meyers für fünf Wochen in Salzwedel, ehe sie nach einem weiteren Verhör bei der Stasi von einem Moment auf den anderen mit einem Bus ausreisen durften. "Wir haben geweint", sagt Birgit Meyer. Vor Freude, aber auch aus Angst vor der ungewissen Zukunft.
Der "goldene" Westen erwies sich anfangs als gar nicht so golden. Friedrich Meyer war vier Monate arbeitslos, auch die Unterkunft bei den Verwandten in Hamburg-Harburg erwies sich als schwieriger als gedacht. Dann konnte Friedrich Meyer in den Schuldienst zurückkehren, allerdings nicht als Lehrer, sondern mit Mitte 40 als Referendar. "Dankenswerterweise konnte ich die Zeit um sechs Monate auf eineinhalb Jahre verkürzen", sagt er ironisch. Von 1991 bis zur Pensionierung im Jahr 2009 arbeitete Meyer in der Haupt- und Realschule am Ehestorfer Weg.
"Es ist gut, dass Deutschland vereint ist", sagen Friedrich und Birgit Meyer heute. Es werde aber noch dauern, bis die Einheit auch in den Köpfen abgeschlossen sei. Kein Wunder, sei doch unzähligen Ostdeutschen kurz nach der Wende die Arbeit und damit die Lebensgrundlage genommen worden. "Das, was die Treuhand mit den Menschen gemacht hat, ist aus meiner Sicht ein Verbrechen", kritisiert Friedrich Meyer. Er appelliert an die Mitmenschen, mehr aufeinander zu achten: "Hilfsbereitschaft muss wieder eine Tugend werden, Egoismus müssen wir verdammen." Er rät zudem: "Tragen Sie durch Ihr Wirken dazu bei, dass wirklich zusammenwächst, was zusammengehört, und dass Bertold Brechts Gedanken Gestalt annehmen, auf dass ein gutes Deutschland blühe." (s. Gedicht "Kinderhymne" unten)
Nach Salzwedel kehren Friedrich und Birgit Meyer immer noch gern zurück, mittlerweile auch ohne Wehmut. Friedrich Meyer sagt: "Der Abschied von der Stadt hatte lange Zeit zu reifen!"

"Kinderhymne" von Bertold Brecht

Anmut sparet nicht noch Mühe,
Leidenschaft nicht noch Verstand,
Dass ein gutes Deutschland blühe
Wie ein andres gutes Land.

Dass die Völker nicht erbleichen,
Wie vor einer Räuberin,
Sondern ihre Hände reichen
Uns vor andern Völkern hin.

Und nicht über und nicht unter
Andren Völkern wolln wir sein
Von der See bis zu den Alpen,
Von der Oder bis zum Rhein.

Und weil wir diese Land verbessern,
Lieben und beschirmen wir's.
Und das liebste mag's uns scheinen,
So wie andern Völkern ihrs. 

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Nach der Maueröffnung kehrten sie an die ehemalige Grenze zurück: Birgit und Friedrich Meyer im Jahr 1990 beim "Europatreffen" im niedersächsischen Örtchen Zicherie (Landkreis Gifhorn)  | Foto: Meyer
Birgit und Friedrich Meyer stehen vor einem Grenzstein, den ein befreundetes Paar in Hohengrieben (Sachsen-Anhalt) aufgestellt hat | Foto: Meyer
Redakteur:

Oliver Sander aus Buchholz

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