„Impfen ist die Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung“
Corona-Mythen und Impfung: WOCHENBLATT-Interview mit Dr. Werner Raut vom Krankenhaus Buchholz

Dr. Werner Raut | Foto: Krankenhaus  Buchholz
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(nw/nf). In den Intensivstationen der Krankenhäuser steigt die Zahl der Corona-Patienten. Gleichzeitig sind noch rund 33 Prozent aller Deutschen ungeimpft, viele davon, weil sie eine Impfung ablehnen. Dr. Werner Raut, Chefarzt der Medizinischen Klinik im Krankenhaus Buchholz, widerspricht im WOCHENBLATT-Interview weitverbreiteten Corona-Mythen und sagt, warum sich eine Impfung für alle lohnt.
WOCHENBLATT: Wie ist die gegenwärtige Situation in den Krankenhäusern?
Dr. Werner Raut: Wir haben seit einigen Wochen wieder eine hohe Auslastung der Intensivbetten durch COVID-Patienten. Vier schwerstkranke Patienten werden in Buchholz und einer in Winsen auf der Intensivstation versorgt. In Buchholz ist damit unser Kontingent nahezu erschöpft. Wenn wir mehr COVID-Patienten hätten, müssten wir planbare Operationen absagen.

WOCHENBLATT: Warum gibt es so wenig Intensivbetten?
Dr. Raut: Wir haben genug Intensivkapazitäten. Das Krankenhaus Buchholz verfügt über gut 20 Intensivbetten, die wir belegen könnten, wenn das wirklich nötig werden sollte. Das Problem ist vielmehr der Mangel an Fachpflegepersonal.

WOCHENBLATT: Was heißt das?
Dr. Raut: Wir müssten Mitarbeiter rekrutieren, die gegenwärtig andere Aufgaben innerhalb der Krankenhäuser wahrnehmen. Ein Normalbetrieb der Krankenhäuser wäre dann nicht mehr möglich. Und die Mitarbeiter könnten voraussichtlich nicht unter den tariflich zugesicherten Bedingungen arbeiten. Zwölf-Stunden-Schichten könnten nötig werden.

"Wirksamer Schutz gegen eine schwere Covid-Erkrankung"

WOCHENBLATT: Was kann da helfen?
Dr. Raut: Fachpflegekräfte in ausreichender Anzahl sind in Deutschland auf absehbare Zeit nicht verfügbar. Wichtig erscheint mir folgender Zusammenhang: Alle COVID-Erkrankten, die derzeit in unseren Krankenhäusern behandelt werden, sind ungeimpft. Eine Impfung stellt einen wirksamen Schutz gegen eine schwere COVID-Erkrankung dar.

WOCHENBLATT: Aber es gibt immer mehr Impfdurchbrüche. Trotz Impfung stecken sich Menschen an und werden krank.
Dr. Raut: Eine Impfung bedeutet keinen absoluten Schutz vor Ansteckung. Aber sie senkt das Risiko, an Corona zu erkranken und zu sterben. Nach den offiziellen Statistiken des RKI* sind von den unter 60-Jährigen, die aktuell auf einer Intensivstation behandelt werden müssen, nur gut zwei Prozent geimpft. Von den Geimpften in dieser Altersgruppe stirbt praktisch niemand mehr an COVID. Bei den über 60-Jährigen dagegen steigt der Anteil derer, die trotz Impfung schwer erkranken oder sterben.

WOCHENBLATT: Also nützt eine Impfung den Älteren nichts.
Dr. Raut: Das stimmt so nicht. Prozentual ist der Anteil der Geimpften unter den Erkrankten gering. Laut RKI * (* wöchentlicher Lagebericht des RKI vom 16. September 2021 "Impfen stellt wirksamen
Schutz gegen schwere) würden von den über 60-Jährigen viermal so viele Patienten an einer Corona-Infektion sterben, wenn sie nicht geimpft wären.

WOCHENBLATT: Warum bringt die Impfung nicht mehr Schutz?
Dr. Raut: Gerade ältere Menschen haben nicht so eine gute Immunantwort auf die Impfung gezeigt wie die Jüngeren. Ihre Impfung liegt meist schon länger als sechs Monate zurück, da sie die Ersten waren, die zu den Impfungen eingeladen wurden. Nach neueren Erkenntnissen würde außerdem ein längerer Abstand zwischen den Impfungen den Impfschutz deutlich verbessern. Jedoch hat man gerade in den ersten Monaten der Impfungen einen kurzen Abstand eingehalten, um möglichst schnell den vollen Impfschutz zu erreichen. Bei diesen Menschen wäre eine dritte Impfung eine gute Schutzmöglichkeit, und ich gehe davon aus, dass diese Nachimpfung in den nächsten Wochen von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlen wird.

"Die Delta-Variante des Coronavirus ist hoch ansteckend"

WOCHENBLATT: Was sagen Sie denen, die weiterhin impfskeptisch sind?
Dr. Raut: Wir leben in einer Pandemie. Sobald die Hygienemaßnahmen aufgehoben werden, wird niemand von uns dem Kontakt mit dem Virus entgehen können. Wer nicht geimpft ist, wird deutlich schwerer und länger erkranken und öfter bleibende Schäden erleiden. Etwa zwei Prozent dieser Menschen werden an COVID sterben, unter den Älteren noch deutlich mehr. Dagegen wird rund die Hälfte aller Geimpften nach heutiger Datenlage überhaupt nicht krank. Die Übrigen entwickeln leichte Symptome. Unter fünf Prozent der Geimpften erkranken schwer. Die Delta-Variante des Coronavirus, die inzwischen in Deutschland fast alle Infektionen verursacht, ist hoch ansteckend. Wer erkrankt, kann das Virus weitergeben, z. B. an Menschen mit schwachem Immunsystem und an Kinder, die nicht geimpft werden können. Bei Geimpften ist der Zeitraum, in dem sie ansteckend sind, wesentlich kürzer als bei Ungeimpften. Auch die Anzahl der Viren, die sie weitergeben, ist geringer. Sich impfen zu lassen, ist also nicht nur eine persönliche Entscheidung. Ich sehe darin vielmehr die Übernahme einer gesellschaftlichen Verantwortung für den Schutz der eigenen Angehörigen und der Menschen, die sich aktuell nicht impfen lassen können oder die besonders gefährdet sind.

WOCHENBLATT: Viele haben Angst vor dem in Deutschland besonders häufig eingesetzten mRNA-Impfstoff von BioNTech, der, wie sie glauben, noch nicht ausreichend erprobt ist.
Dr. Raut: Das Prinzip der mRNA-Impfung ist seit über zehn Jahren bekannt. Aufgrund dieser Erfahrungen kann man sagen, dass keine Langzeitschäden bekannt sind. Es wird ja kein Erbmaterial verimpft, keine fremde DNA in den Körper geschleust. Vielmehr wird die Bauanleitung für ein einziges Oberflächenmerkmal des Virus, das Spike-Protein, in den Körper gebracht. Die Impfung mit mRNA ist die präziseste Art einer Impfung, die man sich vorstellen kann. Natürlich löst diese Impfung eine kräftige Immunantwort aus. Diese kann in einzelnen Fällen überschießend sein. Dann kann es zum Beispiel zu einer Herzmuskelentzündung kommen. Allerdings tritt infolge einer COVID-Erkrankung solch eine Entzündung viermal so häufig auf.

"Impfquoten wie in Dänemark wären eine fantastische
Perspektive für Lockerungen"

WOCHENBLATT: Viele Impfgegner machen die Impfungen für das Entstehen von Virusmutationen verantwortlich.
Dr. Raut: Mutationen entstehen vor allem dort, wo es ein hohes Virusaufkommen gibt. Impfungen reduzieren das Virusaufkommen. Je mehr Menschen geimpft sind, desto weniger wahrscheinlich kommt es zu Mutationen.

WOCHENBLATT: In benachbarten Ländern wie Dänemark oder England schätzt man die Gefahr durch Corona offenbar sehr viel geringer ein als bei uns. Dort gibt es keine Einschränkungen und keine Masken mehr. Viele fordern auch bei uns den Freedom Day, an dem alle bisherigen Restriktionen fallen gelassen werden.
Dr. Raut: Dann könnte durch den großen Anteil noch nicht geimpfter Menschen erneut eine hohe Zahl an schwer Erkrankten auf die Krankenhäuser zukommen, was die Möglichkeiten der stationären Versorgung weit überschreiten würde. Von den über Sechzigjährigen in Deutschland sind immer noch ca. 15 Prozent nicht geschützt. Wenn wir vergleichbare Impfquoten wie z.B. Dänemark oder England hätten, wäre solch eine Lockerung eine fantastische Perspektive. Auch das ist ein guter Grund, sich jetzt unbedingt noch impfen zu lassen.

WOCHENBLATT: Sollten auch Kinder geimpft werden?
Dr. Raut: Eine hypothetische Frage, denn noch gibt es keinen zugelassenen Impfstoff. Aber es ist bekannt, dass Kinder durch immer neue Quarantäne-Maßnahmen an Schulen und Kindergärten erheblichen Schaden nehmen. Es ist daher unsere vordringliche Aufgabe, diese künftig zu vermeiden. Allerdings sind schwere Verläufe gerade bei sehr kleinen Kindern extrem selten. Eine allgemeine Impfempfehlung für alle diese Kinder wird deswegen vermutlich keinen wesentlichen Nutzen für den Einzelnen bringen.

WOCHENBLATT: Werden wir künftig jedes Jahr zweimal geimpft werden müssen?
Dr. Raut: Meine Erwartung ist, dass die jungen Menschen sich durch immer neue Begegnungen mit dem Virus im täglichen Leben selbst dauerhaft immunisieren werden. Bei den über 60-Jährigen mit erhöhtem Risiko für schwere Verläufe wird man dagegen darüber nachdenken müssen, ob sie künftig jährlich geimpft werden, z. B. gemeinsam mit der Grippeimpfung.
WOCHENBLATT: Vielen Dank für das Gespräch.

Unkenntnis oder Desinteresse: Prüf-App für Impfzertifikate wird kaum genutzt
Redakteur:

Tamara Westphal aus Buchholz

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