Interview
Lehrer-Bashing: Eine Grundschulllehrerin verteidigt ihren Berufsstand

Wenn der Unterricht mit dem Tablet nicht reibungslos läuft, wird der Lehrer zum Sündenbock gemacht  | Foto: Adobe Stock / Lightfield Studios
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JOBS und KARRIERE

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(ts). Lehrer müssen oft Häme über sich ergehen lassen. Spötter reden über Lehrer. Jetzt redet eine Lehrerin - und erinnert an Tugenden wie Fairness und einen respektvollen Umgang. Janina Teepe ist 31 Jahre alt, Mutter, aus Harsefeld und Grundschullehrerin.
WOCHENBLATT: In unserer Rubrik "Zwischenruf" weisen wir auf kleine und große Missstände in unserer Gesellschaft hin - nicht selten provozierend. In einem Fall haben wir Sie verärgert. Womit genau?
Janina Teepe: Mit einer ungerechtfertigten Generalisierung. „Die Lehrer scheinen bei der Digitalisierung hinterherzuhinken“, heißt es da. Auch in den Leserbriefen wird über Lehrer hergezogen. Ich finde es erschreckend, dass es gesellschaftlich akzeptiert zu sein scheint, über Lehrer zu schimpfen – auch auf unreflektierte Art und Weise. Menschen über einen Kamm zu scheren und Negativaussagen über ganze Gruppen von ihnen zu treffen, wird, zum Glück, immer weniger hingenommen. Lehrer scheinen hier manchmal eine Ausnahme darzustellen.
WOCHENBLATT: Menschen finden es offenbar lustig, wenn Schüler ihren Lehrern im Umgang mit Technik eine Lektion erteilen...
Janina Teepe: Ich frage mich, warum das so ist. Da schwingt eine gewisse Bitterkeit Lehrern gegenüber mit. Ich sehe die digitalen Kompetenzen der Schüler als Chance und nicht als Bedrohung. Meine Schüler können übrigens viele Dinge, die ich nicht kann. Ich kann weder Skateboard fahren noch Fußball spielen. Ich habe keine Ahnung von Minecraft. Dafür kann ich mit Microsoft Office umgehen. Diese Unterschiede sind doch eine Bereicherung!
WOCHENBLATT: Sind unsere Lehrer digital genug ausgebildet?
Janina Teepe: Wir sind eine große Berufsgruppe mit vielfältigen Menschen. Die wenigsten von uns haben Informatik studiert. Ich hoffe sehr, dass die meisten von uns Menschen lieber mögen als Computer. Sicherlich müssen wir trotzdem mit der Zeit gehen. Viele von uns haben da auch große Lust drauf. Einigen fällt das schwerer als anderen. Und ich denke, das ist okay. Unterschiedliche Lehrkräfte haben unterschiedliche Stärken und ein Unterricht ist nicht zwingend besser, weil er digitaler ist. Durch Corona wurde die Nutzung digitaler Medien urplötzlich wesentlich bedeutsamer. So plötzlich konnten sich nicht alle fortbilden. Kreative Lösungen waren nötig. Einige Kollegen haben einen YouTube-Kanal gestartet um ihren Schülern etwas zu erklären, andere haben Unterlagen persönlich in die Briefkästen der Kinder gebracht, um siezu erreichen. Hier müssen viele Entscheidungen auch persönlich getroffen werden und viele neue Fragen entstehen. Nicht jede Lehrkraft möchte das eigene Gesicht in Internetvideos veröffentlicht sehen. Das finde ich sehr nachvollziehbar.
WOCHENBLATT: Wie digital sind unsere Schulen wirklich?
Janina Teepe: „Digitalisierung“ ist ein großes Wort. In vielen Schulen fehlt nach wie vor die entsprechende Ausstattung. Bis vor Kurzem musste man bei uns schon froh sein, dass wir ein paar Klassenräume hatten, in denen man einen LAN-Stecker in die Wand stecken konnte – für einen Laptop, den man sich mit fünf Klassen teilt. Viele Klassenräume hatten gar keinen Internetzugang. Das WLAN ist kürzlich eingezogen. Die entsprechende Hardware fehlt noch. Dementsprechend kann ich aktuell auch kein Smartboard bedienen – nicht, weil ich da keine Lust drauf hätte, sondern schlicht, weil ich noch nie einen Klassenraum mit Smartboard hatte. Fortbildungsetats sind schnell aufgebraucht und in Schulen brennt es auch oft an vielen Stellen. Manchmal müssen Fortbildungen auch vertagt werden, weil man in der Schule einfach dringender gebraucht wird. Einige Schulen sind auch schon toll aufgestellt. Das variiert noch stark. Ich denke, die Corona-Krise wird der Digitalisierung in den Schulen nochmal einen ordentlichen Anschub geben.
WOCHENBLATT: Müssen Lehrer eierlegende Wollmilchsäue sein?
Janina Teepe: Ein bisschen. Aber das ist nicht nur schlecht. Ich finde es auch toll, dass man in unserem Beruf immer dazulernt. Es wird nie langweilig. Manchmal ist es sicherlich auch fordernd. Schwierig ist, dass man einen großen Teil unserer Arbeit nach außen hin nicht sieht und uns daher gerne mal unterstellt wird, wir hätten vormittags recht und nachmittags frei. Das ist leider nicht so (lacht). Die „Digitalisierung“ ist nicht das einzige Thema, dass wir mal eben „nebenbei“ erledigen sollen. Wir sind Lehrkräfte, Fachleitungen, unsere eigenen Datenschutzbeauftragten, Sicherheitsbeauftragten, Erste-Hilfe-Beauftragten, Medienbeauftragten. Wir versuchen, die Inklusion zu meistern ohne Sonderpädagogikstudium, und wollen traumatisierten Flüchtlingskindern helfen, ohne Therapeuten zu sein. Und das ist nur ein Ausschnitt. Firmen haben IT-Abteilungen. Wir haben uns und unsere privaten Computer.
WOCHENBLATT: In der Corona-Krise haben Politiker ihren Berufsstand als systemrelevant geadelt. Hat das einen Effekt auf die öffentliche Wahrnehmung Ihres Berufes?
Janina Teepe: Das wäre schön. Wenn ich die Kommentarspalten des WOCHENBLATT lese, sieht es allerdings nicht danach aus. Manche beschweren sich, dass einige Lehrkräfte der Risikogruppe von zu Hause arbeiten durften – anders als andere Landesbeamte. Ich gönne es meinen Kollegen und schätze, dass auch nicht alle Landesbeamten mit Kindern zu tun haben. Diese schultern diese schwierige Lage fantastisch und sind wirklich bemüht. Trotzdem vergessen die Kinder zwischendurch auch mal die Abstandsregeln und niesen auch einfach mal drauflos. Das lässt sich gar nicht gänzlich verhindern. So dürfen einige Lehrkräfte also – mit ärztlichem Attest – im Homeoffice arbeiten. Erzieher übrigens auch. Und das sind keine Beamten. Richtig, wir brauchen Lehrer in den Schulen – gerne auch noch nach der Pandemie.
In mancherlei Hinsicht haben wir wirklich Glück. Gerade zu Corona-Zeiten haben wir oft darüber gesprochen, wie unfassbar dankbar wir für unsere sicheren Jobs sind. Unser Beruf ist unheimlich komplex, anstrengend, aber auch wunderschön. Ich freue mich, dass ich jeden Tag mit großartigen Kindern arbeiten und sie beim Lernen und Wachsen begleiten darf.
WOCHENBLATT: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Janina Teepe: Wenn man den lautesten Kritikern vorschlägt doch selbst Lehrer zu werden, wenn sie die Bedingungen so luxuriös finden, antworten sie meist mit „Oh Gott, nein, das könnte ich nicht!“. Wir schon. Wir geben unser Bestes und dafür wünsche ich mir einen respektvollen Umgang mit unserer Berufsgruppe.
WOCHENBLATT: Ich bedanke mich für das leidenschaftliche Plädoyer.

Redakteur:

Thomas Sulzyc aus Seevetal

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