Selbstjustiz eines Vermieters aus Winsen nach angekündigter Mietkürzung

Wegen Corona: Großunternehmen wollte trotz geöffneten Geschäfts die Miete kürzen

thl. Winsen. Eine Aktion, die jetzt für einiges Aufsehen sowohl in der Stadt als auch in den sozialen Medien sorgte, führte Hauseigentümer Jens-Peter Oertzen durch. Er parkte am vergangenen Freitag seinen Pkw direkt vor dem Haupteingang der Bäckerei Junge in der Rathausstraße und prangerte die Zahlungsmoral des Unternehmens an.
Hintergrund: Die Hamburger Traditionsbäckerei hatte aufgrund der Corona-Krise 70 Prozent Mietminderung für die Dauer von drei Monaten angekündigt. "Obwohl die Filiale weiterhin geöffnet hat", so Oertzen. Hinzu komme, dass er dem Unternehmen schon entgegenkommen wollte und eine Stundung von 50 Prozent der Miete angeboten hatte, so der Eigentümer. "Das wurde aber nicht angenommen. Solidarität darf aber keine Einbahnstraße sein." Deswegen wusste sich Oertzen nicht mehr anders zu helfen, als diese Aktion durchzuführen.
Auf Schildern im Fahrzeug wies er auf die öffentlich einsehbaren Bilanzen der Bäckerei Junge hin: "25,6 Millionen Euro Kassenbestand und 21,5 Millionen Euro Grundstückswerte."
"Ich wusste zu Beginn der Aktion nicht, wie lange ich das durchziehen wollte", so Oertzen. Doch die Wende kam ganz schnell. "Noch am selben Abend war plötzlich die Mietzahlung samt Nebenkosten in voller Höhe auf meinem Konto." Warum es offenbar zu diesem Sinneswandel kam, weiß Oertzen nicht. Letztendlich ist es ihm auch egal.
"Grundsätzlich befinden wir uns in einer nicht alltäglichen Situation – für uns alle ist das sehr herausfordernd. Wir tun alles, um einerseits das 123 Jahre alte Familienunternehmen, unsere Mitarbeiter, unsere Gäste als auch unsere Lieferanten und Geschäftspartner zu schützen und andererseits unseren systemrelevanten Versorgungsauftrag zu erfüllen", sagt Gerd Hofrichter, Sprecher der Bäckerei Junge. "Die von der Bundes- und Landesregierung notwendigen Restriktionen führten bei uns zu ca.30 Geschäftsschließungen und bei den übrigen Geschäften zu Umsatzeinbußen von bis zu 80 Prozent. Der überwiegende Geschäftszweck – das Betreiben eines Bäckereicafés – ist uns nicht mehr möglich." Dazu habe man alle Vermieter kontaktiert und um ein Entgegenkommen gebeten. Das sei in der überwiegenden Zahl beeindruckend und auch sehr solidarisch passiert. Hofrichter: "Bei allen Vermietern, die uns nicht entgegenkommen wollten oder konnten, haben wir wie immer die Miete pünktlich überwiesen - wie auch in dem Fall von Herrn Oertzen. Das bedeutet: Seine Aktion vor unserem Geschäft in Winsen hat nichts mit unserer rechtzeitigen Mietzahlung zu tun." Man sei aber mit Oertzen weiter im Gespräch, wie man diese schwierige Zeit gemeinsam schultern könne.