Auch die Institution Kirche wurde missbraucht
Offener Brief der Pastorinnen der Kirchengemeinde Rosengarten zum sexuellen Missbrauch in der Gemeinde in den 1980er und 90er Jahren

Pastor Jörg D. hat von  die ehemalige Kreuzkirchengemeinde in Nenndorf von 1986 bis 1997 betreut | Foto: as
  • Pastor Jörg D. hat von die ehemalige Kreuzkirchengemeinde in Nenndorf von 1986 bis 1997 betreut
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as/nw. Nenndorf. Wie geht man damit um, dass einem ehemaligen Pastor aus der eigenen Kirchengemeinde sexueller Missbrauch vorgeworfen wird? Die Pastorinnen der Kirchengemeinde Rosengarten (Landkreis Harburg), Katharina Behnke und Dorothea Blaffert, möchten das Geschehene öffentlich aufarbeiten. In einem Offenen Brief geben die Pastorinnen jetzt Antworten auf viele Fragen.

"Viele haben es wahrscheinlich durch die Medien mitbekommen: Gegen Jörg D., Pastor in der Kreuzkirchengemeinde Nenndorf von 1986 bis 1997, verstorben 2013, ist der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs erhoben worden. Die Betroffene hat sich 2016 an die landeskirchliche Ansprechstelle für Opfer sexualisierter Gewalt gewandt. 2017 hat die für die Prüfung solcher Fälle zuständige 'Unabhängige Kommission der Landeskirche' dann die Auszahlung von 35.000 Euro beschlossen.
Seit 2017 sind wir Pastorinnen, bald darauf auch Superintendent Jäger, im Kontakt mit der Betroffenen, die unter dem Pseudonym Katarina Sörensen auftritt. In Abstimmung mit ihr wurde Anfang 2020 der Kirchenvorstand unserer Kirchengemeinde Rosengarten informiert und am 6. Juli auch die Öffentlichkeit bei einem Pressegespräch in Hittfeld.

Ergänzung im Archiv 

In Ergänzung zum Nachruf für Jörg D. heißt es seitdem in unserem Archiv: 'Wie sich durch glaubhafte Schilderung einer Betroffenen im Jahr 2017 herausgestellt hat, hat Herr D. in seiner Amtszeit in Nenndorf fortgesetzt Mädchen ab 14 Jahren in ihren Grenzen verletzt und durch sexualisierte Gewalt lebenslang traumatisiert. Dazu gibt es nun auch einen Eintrag in seiner Personalakte im Landeskirchenamt. Die im Nachruf geäußerte Würdigung von Herrn D. bedarf also zumindest der Ergänzung, wenn nicht des Widerspruchs.'

Schöne Erinnerungen getrübt
Wir wissen, wie schmerzlich diese Informationen für viele Gemeindeglieder sind. Viele erinnern sich an die Zeit mit Herrn D. sehr gern, an ihn als Prediger, an kulturelle Veranstaltungen, an soziale Initiativen. Manche bezeichnen die Konfirmandenfreizeit in Südtirol noch heute als die drei schönsten Wochen ihres Lebens. Dass diesen Erinnerungen nun dies gegenübergestellt wird, macht viele traurig.

Klarheit tut Not
Andererseits tut Klarheit not: Einige Menschen haben etwas bemerkt – scheinen ihre Beobachtungen aber nicht entsprechend eingeordnet zu haben. Als Frau Sörensen bereits über 18 Jahre alt war, hielt sie das Ganze anscheinend für eine Liebesbeziehung. Dass Herr D. den Missbrauch an ihr schon durch sexuelle Grenzverletzungen begangen hat, als sie eine 15-jährige Konfirmandin war, und an ihr als 16- und 17-jähriger Jugendmitarbeiterin fortgeführt hat, war vielleicht nicht so offensichtlich. Das ist Missbrauch Schutzbefohlener – 'anhaltend', wie es in der Juristensprache heißt, und auch über die Volljährigkeit hinaus strafbar, weil Herr D. Frau Sörensen immer weiter zur Fortsetzung der Beziehung genötigt hat, indem er Druck auf sie ausübte. Es gibt noch eine zweite namentlich bekannte Betroffene, die davon berichten kann – und vielleicht noch mehr, die ihre Zeit mit Herrn D. nun mit Abstand neu betrachten. Auch versuchte 'Anbahnungen' im Konfirmandinnenalter scheint es mehrere gegeben zu haben.

Ein paar häufiger gestellte Fragen:


Wofür die 35.000 Euro?
Es ist die sogenannte 'Leistung in Anerkennung erlittenen Leids an Opfern sexualisierter Gewalt', die von der Landeskirche gezahlt wird. Sprachlich angemessener wäre wohl der Ausdruck 'Entschädigungszahlung'. Man kann sie am ehesten mit einem Schmerzensgeld vergleichen. Die Summe ist ausdrücklich kein Schweigegeld!

Warum durfte Herr D. 1997 einfach so nach Tostedt wechseln? Schiebt die Kirche einen Missbrauchstäter von Gemeinde zu Gemeinde? Bis 2012 gab es die sogenannte Zehn-Jahres-Regelung: Nach zehn Jahren Amtszeit eines Pastors wurde der Kirchenvorstand gefragt, ob er möchte, dass dieser Pastor bleibt. Diese Frage hat der KV 1996 verneint. Er kann das tun ohne Angabe von Gründen, und tatsächlich sind keine Gründe protokolliert oder weitergegeben worden. Deshalb ist nach Aktenlage und unserer derzeitigen Kenntnis heute nur sehr schwer nachzuvollziehen, ob Missbrauchsvorwürfe damals offen geäußert wurden und inwiefern sie die Entscheidung beeinflusst haben. Herr D. hat sich dann um die Pfarrstelle in Tostedt beworben und dort 1997 angefangen.

Wie kommt es, dass niemand Herrn D. gestoppt hat? Eine Rolle spielt anscheinend, wie tief gespalten die Kreuzkirchengemeinde in den 80er und 90er Jahren gewesen ist. Man war begeistert von ihm – oder man fand ihn furchtbar. Man war traditionell oder fortschrittlich. Es gab keine vermittelnde Position und keine Verständigung. Wenn also jemand irgendeinen Vorwurf äußerte, hieß es: 'Das sagst Du ja nur, weil Du den Pastor weghaben willst.' Außerdem machte Herr D. die jugendlichen Teamer zu einer verschworenen Gemeinschaft, ließ sie sich als eine Elite fühlen – und ließ keine Verbindung zur Jugendarbeit im Kirchenkreis zu. So konnten sie nicht merken, dass z.B. woanders der Pastor nicht im Teamerzimmer schlief. Gegen 'die Erwachsenen' haben sie 'ihren Pastor' immer verteidigt. Ein sehr anschauliches Zeitdokument ist das Interview mit Frau Sörensen auf unserer Homepage und ebenso der Artikel, den sie im November 2019 in der ZEIT veröffentlicht hat (eine Kopie davon können Sie in den beiden Pfarrämtern bekommen).

Wenn es jetzt in mir arbeitet – wo finde ich Ansprechpartner? Sie können natürlich uns Pastorinnen anrufen:

  • Pastorin Katharina Behnke: Tel. 04108-7167, E-Mail: kg.rosengarten-nenndorf@evlka.de;
  • Pastorin Dorothea Blaffert: Tel. 04105-76555, E-Mail: kg.rosengarten-klecken@evlka.de.

Weitere Kontaktdaten, auch von nichtkirchlichen Beratungsstellen, gibt es auf der Homepage der Kirchengemeinde unter www.kirche-rosengarten.de.

Hat Frau Sörensen nicht auch Schuld? Verdeckt oder offen ist uns diese Frage einige Male gestellt worden. 'Sie hätte doch nein sagen können!' 'Warum hat sie sich nicht getrennt?' Diese Annahme schiebt die Schuld vom Täter auf das Opfer. Herr D. war der Erwachsene, er war der Profi, er war der Pastor. Seine Pflicht wäre es gewesen, Distanz zu wahren. Von einem 15-jährigen Mädchen kann das nicht verlangt werden – und genau aus diesem Grund ist 'Missbrauch von Schutzbefohlenen' strafbar!

Wie geht es weiter? Im Augenblick hören und sprechen wir viel. Manches wird klarer. Bitte wenden Sie sich an uns oder andere Mitglieder des Kirchenvorstandes, wenn Sie reden und fragen wollen. Zum Herbst planen wir (wenn Corona das zulässt) eine öffentliche Informationsveranstaltung, um den aktuellen Stand der Aufarbeitung zu besprechen und die Standards unserer Arbeit darzustellen."

Katharina Behnke,
Dorothea Blaffert

Lesen Sie auch:

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Hilfe für Opfer sexueller Gewalt

Weitere Missbrauchsfälle in anderen Kirchengemeinden nicht ausgeschlossen

Redakteur:

Anke Settekorn aus Jesteburg

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